Dürfen wir noch sagen, was wir wollen?

Professor Ferdinand Kirchhof, früher Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, erörtert in dem Artikel „Dürfen wir noch sagen, was wir wollen?“ (FAZ vom 12.06.2025, Nr. 134, S. 6). Grundsätzlich sieht er die Meinungsfreiheit als gesichert an. Allerdings entstünden aus der Gesellschaft heraus neue Risiken: „Der britische Liberale John Stuart Mill beklagte bereits im 19. Jahrhundert die ‚wachsende Neigung der Gesellschaft, in die Freiheit des Individuums einzudringen‘. Diese Gefahr ist in den letzten zwei Dekaden erheblich angewachsen.“ 

Sie komme heute aus drei Richtungen auf die deutsche Gesellschaft zu:

1. Private, jedermann zugängliche Internetforen bildeten „Meinungsblasen“, die als Echokammern nicht zur offenen Diskussion von Ansichten dienen, sondern nur Gleichgesinnte meinungsverstärkend um sich versammelten.

2. Private Firmen mit großer Informations- und Finanzmacht – vor allem die amerikanischen „Big Five“ des Internets – monopolisierten Meinungsangebote, sodass dem User im Internet nur noch ein Ausschnitt aus dem öffentlichen Diskurs zur Verfügung stünden.

3. Die größte Gefahr drohe aber der Meinungsfreiheit in Deutschland von einer Veränderung der zwischenmenschlichen Gesprächskultur: „Öffentliche Diskussionen beruhen auf der Selbstverständlichkeit, dass jeder Teilnehmer dem anderen respektvoll zuhört, dessen Argumente ernst nimmt, abwägt und auch bereit ist, sich vom besseren Argument des anderen überzeugen zu lassen. Am öffentlichen Diskurs beteiligt sich mittlerweile die Figur des ‚moralisierenden Missionars‘. Er will gar nicht sachliche Erwägungen austauschen und seinem Gegenüber zuhören. Er vertritt nur seine vorgefasste Meinung in der sicheren Überzeugung, dass sie die einzig richtige ist und gegensätzliche Auffassungen falsch sind.“ 

Kirchhof nennt dann Probleme, die sich durch durch den Aufruf zur „political Correctness“, das Verbot von „cultural occupation“ und die Kultur der „wokeness“ ergeben.

Fazit: „Demokratie, Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft brauchen die Offenheit aller Stimmen und Argumente. In Deutschland müssen nach den Vorgaben des Grundgesetzes alle Bürger gehört werden. Wir sollten moralisierenden Missionaren Einhalt gebieten.“

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4 Kommentare
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Jan Malcolm
1 Tag zuvor

Grundsätzlich sieht er die Meinungsfreiheit als gesichert an.

Kommt in dem Artikel das Wort „Schweigespirale“ gar nicht vor?

Oder meint der Herr Kirchhof damit nur sich selber und seine Kaste? Deren Meinungsfreiheit war ja zu allen Zeiten gesichert.

Nik
1 Tag zuvor

. Als du den Punkt 1. gelesen hast bist du selber nicht stutzig geworden. Dein Blog ist genau so eine Echokammer indem Gleichgesinnte meinungsverstärkend sich versammeln.
Auch in gewissen frommen Kreisen ist das mit der Meinungsfreiheit so ein Ding nicht nur bei den „woken*.

Jan Malcolm
14 Stunden zuvor

Ich ertrage sogar Jan Malcom, der vielleicht ein Bot ist. ,-) Das fällt sicherlich mehr auf, weil das Content Engagement seit 2015 allgemein immer kleiner wird. Vor zehn Jahren noch wären meine Kommentare einfach unbemerkt in der Masse der anderen untergegangen. Die anderen Stimmen sind jedoch alle weg. Was ist denn da passiert? Dein Blog ist genau so eine Echokammer indem Gleichgesinnte meinungsverstärkend sich versammeln. Jährlich verlassen mehrere hunderttausende hochqualifizierte Menschen das Land eines Ferdinand Kirchhof und beteiligen sich gar nicht mehr an der Meinungsbildung. Warum sollte man auch über staatliche Angriffe auf eine konservative katholische Hochschule oder die Einstellung von Staatsleistungen diskutieren, die einen im laizistischen Frankreich gar nicht mehr betreffen? Der Rest hält schon lange die Klappe, immer in der Hoffnung, sich auch mal irgendwann unauffällig vom Acker machen zu können. Von einem Spektrum, bei dem es auch mal mehrere Vertreter einer Position gibt, kann man deshalb kaum noch sprechen, aber Echokammer würde ich es deshalb nicht nennen.… Weiterlesen »

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