Reinhard Bingener kommentiert in der FAZ die Wahl der 25 Jahre alten Anna-Nicole Heinrich zur Präses der Evangelische Kirche. Treffend skizziert er, dass in einer Kultur der Postmoderne Unvereinbares eben doch zusammenpasst. Wenn sogar die konservative Synodenfraktion theologisch liberal ist, dann hilft auch eine charismatische Frömmigkeit nicht weiter. Fast möchte man zynisch sagen: Hautsache wir sprechen „gendergerecht“.
Kirchenpolitisch betrachtet, ist die Studentin ein widersprüchliches Geschöpf. Sie spricht konsequent mit Gender-Gap, gehört aber zugleich der konservativen Synodenfraktion „Lebendige Kirche“ an. Heinrich bezeichnet sich als theologisch liberal – und lobt im gleichen Satz die charismatische Frömmigkeit der Freikirchen. Die Studentin stammt auch nicht wie der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm aus einer Theologendynastie, sondern ist das Kind einer kirchenfernen Familie aus Ostdeutschland.
Vielleicht hat die Synode gespürt, dass sie mit dieser wilden Mischung ein Stück Zukunft der Kirche antizipiert. Da die Weitergabe der christlichen Tradition in den Familien kaum noch funktioniert, muss die Kirche offener für Glaubensbiographien wie die von Anna-Nicole Heinrich werden. Die Kirche wird auch die emotionale Intensität ihrer Gottesdienste steigern müssen. Dahinter steckt folgende Logik: Wenn in einer Gesellschaft die außerreligiösen Gründe, religiös zu sein, zunehmend entfallen, muss die Kirche selbst wieder religiöser werden.
„Charismatische Frömmigkeit“ kann auch ziemlich losgelöst vom gesamtbiblischem Zeugnis daherkommen. „Christen“ mit einer demontierten, sozusagen auf Bierdeckelformat geschrumpften Bibel sind heutzutage überall unterwegs. Da passt dann auch plötzlich liberal zu charismatisch und zu konservativ. Wenn das gemeinsame Credo lautet „Gott ist Liebe und seine Liebe deckt alles zu“, dann ist Einigkeit möglich. Es ist eine Einigkeit, die keinen Preis scheut.
Wie man mit ewigen biblischen Wahrheiten Lügen verbreiten kann, hat der Teufel uns ja bereits vorgemacht (Matth. 4, 5-7).