Die Ampelregierung will sexuellen Minderheiten das Leben erleichtern. Kritiker fürchten jedoch die gesamtgesellschaftlichen Folgen. Der Redakteur Ben Krischke hat für die aktuelle Ausgabe des Magazins Cicero einen empfehlenswerten Artikel zur Debatte über die sexuelle Selbstbestimmung geschrieben („Kulturkampf ums Geschlecht“, Cicero, Nr. 8/2022, S. 15–25). Nachfolgende einige Auszüge:
Just an jenem Tag, an dem Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ihre „Eckpunkte“ für das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz in Berlin vorstellen, findet drei Kilometer südwestlich vom Haus der Bundespressekonferenz entfernt eine Demonstration statt. Eine kleine Gruppe Aktivisten hat sich Ende Juni vor der norwegischen Botschaft versammelt. Anlass ist eine strafrechtliche Ermittlung in Norwegen, die für Außenstehende wie Satire klingen mag. Für Christina Ellingsen aber könnte sie bald schon bitterer Ernst werden. Die Norwegerin ist Mitgründerin des Frauenrechtsnetzwerks „Women’s Declaration International“ (WDI) und hat eventuell gegen ein seit dem Jahr 2020 geltendes Gesetz verstoßen. Dieses stellt „Geschlechtsausdruck“ und „Geschlechtsidentität“, wie es darin heißt, unter besonderen Schutz. Ellingsens mögliches Vergehen: Sie hat öffentlich behauptet, dass Männer keine Lesben seien – und wurde dafür von einem transidenten Mann, der sich als Lesbe identifiziert, angezeigt. Sollte es zu einer Anklage kommen, drohen ihr in Norwegen bis zu drei Jahre Haft.
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Was nach radikal-liberaler Gesellschaftspolitik klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Ausdruck einer konsequenten Weigerung, biologische Tatsachen anzuerkennen. Es ist ein entscheidender Schritt in ein postfaktisches Geschlechtersystem, in dem Begriffe wie Mann und Frau nur noch relativ wären. Bedenken indes werden von Verfechtern des Selbstbestimmungsgesetzes beiseitegeschoben und als „reaktionär“, „transphob“ oder einfach nur „rechts“ markiert. Biologin Galuschka, die Mitglied der Grünen ist, formuliert es so: „Wir versuchen, die Debatte zu führen, doch die andere Seite will sie verhindern.“
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An vorderster Front kämpft der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne). Als Galuschka und vier weitere Autoren einen Gastbeitrag in der zum Axel-Springer-Verlag gehörenden Tageszeitung Die Welt veröffentlichten, in dem sie eine transaffirmative Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beklagten, weil dort zu positiv über Transsexualität berichtet werde, meldete sich Lehmann ebenfalls in der Welt zu Wort. Er schreibt: „Das Pamphlet trieft vor Homo- und Transfeindlichkeit, ist wissenschaftlich nicht fundiert und arbeitet mit Fake News.“ Und weiter: „Die Autor*innen sprechen in ihrem Text von einer ,bestätigte(n) wissenschaftlichen Erkenntnis der Zweigeschlechtlichkeit‘. Spätestens hier kann man den Text eigentlich weglegen und als quasi-kreationistisches Erzeugnis ignorieren.“
An der Reaktion des Queerbeauftragten der Bundesregierung wird deutlich, dass er gar nicht mehr um eine sachliche Debatte bemüht ist, sondern das Autorenteam, das in dem besagten WELT-Artikel die transaffirmative Berichterstattung des ÖRR aufdeckte und kritisierte, auf schäbige Weise diffamiert (vgl. dazu hier). Die Autoren seien homo- und transfeindlich, hätten von Wissenschaft keine Ahnung. Tatsächlich verbreitet freilich Sven Lehmann Pseudowissen, denn in den harten Wissenschaften ist unstrittig, dass die Biologie nur zwei Geschlechter kennt (siehe hier).
Wenn solche Aktivisten Politik, Wissenschaft und Bildung prägen, ist es um eine freiheitliche und aufgeklärte Gesellschaft schlecht bestellt. Wir erleben derzeit, wie Krischke treffend schreibt, einen „Kulturkampf, der längst nicht mehr nur im Internet oder in Büchern ausgetragen wird“. Ein Journalist, der bei der Präsentation des Selbstbestimmungsrechtes fragte, wie man mit Frauen umgehen solle, die sich mit einem biologischen Mann in der Saune oder in der Umkleide nicht wohlfühlen, antwortet die Bundesfamilienministerin: „Transfrauen sind Frauen, und deswegen sehe ich da jetzt keinen weiteren Erörterungsbedarf.“
Ich empfehle die Lektüre des gesamten Artikels. Der Erwerb der August-Ausgabe von Cicero lohnt sich!