N.T. Wright

Jason Byassee hat für CT eine Titelstory über N.T. Wright geschrieben. Es mangelt nicht an Übertreibungen und Superlativen, z.B. wenn behauptet wird, N.T. Wright sei inzwischen bedeutsamer als Rudolf Bultmann. Natürlich ist er ein Genie. Sonderlich ist folgende Beobachtung: „Wenn Wright spricht, predigt oder schreibt, sagen die Leute, dass sie Jesus sehen; und ihr Leben wird transformiert.“ Ich vermute, der Schlusssatz ist unfreiwillig offenbarend. Dort schreibt Byassee nämlich:

Das Reich Gottes ist eindeutig dasjenige, was Wright in allem, was er tut, motiviert. Und wegen Wright’s eigener Treue zum Gott des Universums; und zu seiner geliebten Kirche auf Erden, motiviert es nun noch viele weitere Menschen.

Leider kommt zu kurz, dass nicht nur D.A. Carson & Co. die Neue Paulusperspektive kritisieren, sondern sich insgesamt im Blick auf die vielen neuen Perspektiven – übrigens aus exegetischen und methodischen Gründen – Ernüchterung breitmacht.

Der Artikel ist dennoch lesenswert.

Hier: www.christianitytoday.com.

Eröffnung des EKD-Studienzentrums für Genderfragen

Die EKD macht es den in ihr verbliebenen bekenntnisorientierten Mitgliedern wirklich schwer. Nach dem Desaster mit der Orientierungshilfe und der „Eine Tür ist genug“-Kampagne wurde gestern ein Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie in Hannover eröffnet. Da sage jemand, die EKD setze keine Prioritäten!

Einschlägige Agenturen wie idea oder Medienmagazin pro haben hinlänglich darüber berichtet. Wer sich die Mühe macht, die „Tischreden“ zur Eröffnung zu lesen, wird schnell erkennen, in welche Richtung es geht. Der Ertrag steht fest. Mit Skeptikern will die Kirche nachsichtig umgehen. Bei der wissenschaftlichen Arbeit und deren Vermittlung müssen – so Nikolaus Schneider – die Ängste und Vorurteile gutwilliger Verächter berücksichtigt werden. Prof. Dr. Claudia Janssen, Studienleiterin des Zentrums, läßt uns in ihrem Statement wissen:

Ich wünsche mir für das Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie, dass es ein Ort des Dialogs wird. Der Begriff Gender öffnet sich für den ganzen Reichtum an Forschungsdiskursen, an die wir anknüpfen können: Feministische Theologien, Rassismus-Diskurse, insbesondere den christlich-jüdischen Dialog, queer-Theologien, ökumenische, unterreligiöse und postkoloniale Diskurse… Ich persönlich nähere mich den Fragen des Geschlechterverhältnisses aus feministischer Perspektive an und will aus den Dialogen lernen: nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen allen Geschlechtern, zwischen Menschen, die hetero-, bisexuell, lesbisch, schwul, transgender, intersexuell, queer sind.

Gender ist ein offener Begriff, der mit Leben gefüllt werden muss. Eine geschlechterbewusste Theologie, die wir im Studienzentrum weiterentwickeln wollen, steht für eine Kultur der Wertschätzung in unserer Kirche: eine Kultur, die Unterschiede hoch achtet und gleichzeitig auch darauf schaut, was uns verbindet. Der Erfolg der Arbeit der letzten Jahre zeigt, dass die Idee des Studienzentrums von vielen unterschiedlichen Menschen, Haupt- und Ehrenamtlichen getragen wird, die in der Entwicklung einer geschlechterbewussten Theologie eine innovative Kraft für unser Kirche sehen.

Die Bibel ist in diesem Prozess der Veränderung eine Kraftquelle – spirituell und politisch. Eine geschlechterbewusste Hermeneutik für die Auslegung der Bibel zu entwickeln, bedeutet festgefügte Geschlechterklischees zu überwinden und die Aktualität ihrer befreienden Aussagen neu zu entdecken. Geschlechterbewusste Bibelauslegung ist immer kontextuell. Sie speist sich aus vielfältigen Dialogen: zwischen allen Geschlechtern, den Generationen, Dialogen zwischen Wissenschaft und Praxis, zwischen Gesellschaft, Politik und Theologie und Dialogen zwischen den Religionen; sie lebt vom Austausch weltweit.

Dialog und Nachsicht gibt es allerdings nur für Leute, die sich für die neue Genderkultur als anschlussfähig erweisen. Das wird jeder merken, der an einer Gebotsethik festhält. Wolfgang Thielmann erklärt beispielsweise in der Ausgabe 13/2014 von Christ & Welt, die Kirche habe auf dem gegenderten Kurs zu bleiben, solange es in ihr noch „Stinos“ (gemeint sind heterosexuelle Spießer) gibt, die zwischen Mann, Frau oder __ unterscheiden:

Und natürlich protestieren die Evangelikalen. Die konnten schon immer gut mit der CDU. Sie sind die protestantischen Stinos. „Ich bin zutiefst geschockt und sehe alle christlichen Werte verraten!“, zitiert der Nachrichtendienst idea einen ihrer Vertreter mit Namen Alexander Schick. Das Video spüle alle ethische Autorität der Protestanten durch den Abfluss. Ein anderer Evangelikaler, er heißt Ron Kubsch und ist Dozent für Apologetik, empfiehlt in idea: „Man kann ja austreten.“ Eben nicht, Herr Kubsch, eben nicht, solange Sie die einzige Tür in der Kirche blockieren!

Na dann. Gute Nacht!

Noch einmal „Gott erkennen“

Für Leseratten gibt es eine gute Nachricht. Das Buch Gott erkennen von J.I. Packer ist vom Herold Verlag in Zusammenarbeit mit dem EBTC neu aufgelegt worden. Ich habe Benjamin Schmidt vom Herold Verlag kurz zu dem Projekt befragt:

Noch einmal „Gott erkennen“

T075TheoBlog: Warum sollte das Buch heute noch gelesen werden?

Weil es zeitlose Wahrheiten über Gottes Wesen vermittelt. Im Vorwort der Ausgabe von 1973 schreibt Packer: „Die Überzeugung, die hinter diesem Buch steht, ist, dass die Unwissenheit über Gott – sowohl die Unwissenheit über sein Handeln wie auch die Unkenntnis über die persönliche Gemeinschaft mit Ihm – eine der Wurzeln für die Schwachheit der heutigen Kirche ist.“ Wir haben den Eindruck, dass diese Unwissenheit auch in evangelikalen Kreisen seither nicht weniger geworden ist. Theologie gilt für viele als trocken, unwichtig oder den Glauben eingrenzend. Packer zeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

TheoBlog: Eine neue Übersetzung ist sehr aufwendig.

Warum hat sich der Verlag dennoch dafür entschieden? Da die frühere Übersetzung schwer verständliche Aussagen enthielt und dem heutigen Stil nicht mehr ganz entsprach, haben wir uns dagegen entschieden, die einzelnen Passagen herauszusuchen und zu überarbeiten, und stattdessen den Text völlig neu übersetzt. Wir hoffen, dass uns das gelungen ist. Das Übersetzen selbst war für uns jedenfalls ein großer Segen.

TheoBlog: An welche Leser wendet sich das Buch?

Das Buch richtet sich in erster Linie an Christen, die mehr über Gott erfahren wollen; egal, ob das im persönlichen, gemeindlichen oder im Bibelschul-Studium geschieht. Dennoch fordert Packer immer wieder zum Glauben an Christus heraus und verleiht dem Buch daher auch einen evangelistischen Aspekt. Im Vorwort nennt er den Wunsch, dass „… Gott erkennen auch in seinem neuen Gewand weiterhin dazu beitragen [möge], Menschen zur Bekehrung zu führen und in ihrem Glauben zu stärken.“

TheoBlog: Gibt es ein Kapitel, das jedem Christen sehr zu empfehlen ist?

Das Kapitel über die Gotteskindschaft („Die Kinder Gottes“, Kap. 19) ist sehr zu empfehlen, da es gerade in unserer Zeit ein häufig vernachlässigtes und missverstandenes Thema ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

– – –

Freundlicherweise hat der Herold Verlag eine Leseprobe zur Verfügung gestellt. Das im Gespräch erwähnte Kapitel 19 ist auch dabei: Gott erkennen Auszug.pdf.

Das Buch wird auf der E21-Konferenz in Hamburg zu erwerben sein (schon angemeldet?) und kann später über den Buchhandel bezogen werden.

Stadtstress

Stadtbewohner haben ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken, als Menschen, die auf dem Land leben. Allein die Gefahr der Schizophrenie ist – so einige Experten – doppelt so hoch. Die Kombination von sozialer Dichte und Vereinsamung wirkt sich besonders gravierend aus.

Miriam Hollstein schreibt für die WELT:

In einer 2011 im Magazin „Nature“ veröffentlichten Studie wies der Mannheimer Psychiater Florian Lederbogen gemeinsam mit Kollegen nach, dass Stadtbewohner stärker auf bestimmte Stressreize reagieren als Menschen auf dem Land. Dies ließ sich nachweisen, weil jene Hirnregionen, die Stress verarbeiten, bei ihnen schneller auf die Reize reagierten. Und noch eine Erkenntnis gewann das Wissenschaftlerteam: Das Phänomen ließ sich nicht nur bei Menschen beobachten, die aktuell in der Stadt lebten, sondern auch bei solchen, die in der Stadt aufgewachsen waren.

Das allein, sagt der Berliner Stressforscher Adli, sei aber noch nicht schlimm: „Es kann eine ganz normale Anpassung an die Umwelt sein.“ Problematisch werde es, wenn weitere Risikofaktoren hinzukämen. „Der Faktor Stadt alleine ist noch kein Problem. Es ist immer ein Summenspiel.“ Was also macht den besonderen Stress der Stadt aus? „Die Kombination von sozialer Dichte und sozialer Vereinsamung“, sagt Adli. „Vereinzelung ist ein echter Killer.“

Studien zeigen, dass soziale Isolation das Sterberisiko stärker erhöht als Fettleibigkeit und Alkoholkonsum. 2013 kamen Forscher des University College London zum Schluss, dass Menschen, die isoliert lebten, binnen sieben Jahren ein 26 Prozent höheres Sterberisiko hatten. Auch die Gefahr, an Demenz und Arthritis zu erkranken, erhöht sich. Unter Vereinsamung litten meist ältere und unverheiratete Menschen. Auch Armut ist ein Risikofaktor. In Verbindung mit der stärkeren Stressreaktion kann sie Stadtbewohner schneller krank machen.

Mehr: www.welt.de.

Heidegger und Marx

Heidegger glaubte in seinem Fernsehinterview von 1969 Karl Marx’ 11. These über Feuerbach widerlegt zu haben. Marx schreibt dort:

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, sie zu verändern.“

Heidegger behauptet, dieser Satz erweist sich als nicht fundierter Satz.

„Er erweckt den Eindruck, als sei entschieden gegen die Philosophie gesprochen, während im zweiten Teil des Satzes gerade unausgesprochen die Forderung einer Philosophie vorausgesetzt ist.“

Er will damit also sagen, die Veränderung der Welt setzte ihre Interpretation voraus. Kurz: Eine Veränderung der Welt ohne Philosophie gibt es nicht!

Nun sehe ich ebenso wie Heidegger, dass Weltveränderung Verstehen und Deutung voraussetzt (d.h. „Weltvorstellung“). Um ein Beispiel zu gebrauchen: Auch ein kommunistischer Diktator, der die Herrschaft über eine Region an sich reißen möchte, handelt gemäß seiner (falschen) Interpretation der Welt.

Trotzdem glaube ich nicht, dass Heidegger mit seiner „Marxkritik“ recht behält. Marx hat nämlich gar nicht behauptet, dass die Welt keine Ausdeutung braucht. Er wandte sich gegen eine Philosophie, die beim Interpretieren stehenbleibt. Also beispielsweise gegen Hegel, der sagte: „Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig“ (aus der „Vorrede zur Rechtsphilosophie“). Ein Linkshegelianer verstand und versteht diese Aussage als handgreifliche „Heiligsprechung alles Bestehenden“ (so Friedrich Engels in „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“).

Marx wandte sich nicht gegen die Philosophie allgemein. Sein Tadel zielt auf eine Philosophie ab, die ähnlich wie die Religion Menschen vermeintlich narkotisiert und somit daran hindert, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, z. B. indem eine Revolution angezettelt wird.

Ob nun die in der Tradition von Marx und Engels entwickelte dialektische Philosophie die Welt richtig interpretiert, steht auf einem anderen Blatt.

Hier die Stellungnahme Heideggers:

Die Psychofalle

Immer öfter werden gesellschaftliche Probleme wie Arbeitsbedingungen oder das Schulsystem für die „Psychomacken“ Einzelner verantwortlich gemacht. Zu Unrecht, meint der Medizinjournalist Jörg Blech in seinem neuen Buch Die Psychofalle. Bei SPIEGEL ONINLE ist ein Auszug erschienen. Die Untersuchung der Epidemiologen um Dirk Richter vom Universitätsklinikum Münster zur Verbreitung seelischer Störungen bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen wird darin wie folg interpretiert:

41Rq2j6ct6LDiese Übersichtsanalyse offenbart, dass in den Industriestaaten des Westens die psychischen Störungen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zugenommen haben. Der vermutete Anstieg der psychiatrischen Krankheiten hat nicht stattgefunden. Die Münsteraner Epidemiologen stellen klar: „Die unterstellte Zunahme psychischer Störungen aufgrund des sozialen Wandels kann nicht bestätigt werden.“

Bei steigenden Raten psychischer Erkrankungen in einer Gesellschaft wäre auch zu erwarten, dass die Lebensqualität sinkt. Auch diesen Aspekt haben die Münsteraner untersucht: In den Studien fragten Forscher Einwohner bestimmter Länder von 1946 an, inwiefern sie sich als glücklich und zufrieden bezeichnen würden. In Westeuropa und Nordamerika hatte die Lebenszufriedenheit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg leicht zugenommen und hat sich, ungeachtet der gesellschaftlichen Veränderungen, seither kaum verändert. Alles in allem verweist das auf eine Zufriedenheit auf einem stabilen, hohen Niveau.

In westlichen Staaten geht schließlich auch die Zahl der Suizide stark zurück. In Deutschland ist sie seit Anfang der achtziger Jahre ungefähr um die Hälfte gesunken. Jeden Tag nehmen sich rund 20 Menschen weniger das Leben als vor dreißig Jahren. Die Abnahme der Suizidrate, die Zahlen zur Lebenszufriedenheit sowie die Studienergebnisse zur Verbreitung der psychischen Störungen bieten „sogar die Möglichkeit, über eine Abnahme eben dieser zu spekulieren“, sagen die Münsteraner Forscher. Die Epidemie der psychischen Störungen ist ein Mythos.

Mehr: www.spiegel.de.

A. Kuyper: Christ und Welt

Abraham Kuyper:

Das Geheimnis, von der Welt frei zu werden, liegt nicht darin, dass ihr immer wieder einen Schlagbaum zwischen sie und euch bringt, sondern dass ihr für immer den Schlagbaum wegnehmt, der euch von Christus trennt.

Fürchtet nicht, ungeistlich zu werden, wenn du Gottes Ordnungen auch auf nicht geistlichem Gebiet ehrst. Eher leidet umgekehrt das Geistliche Schaden durch Übergeistlichkeit.

Heideggers finsteres Vermächtnis

41JCuufyXGL._Derzeit ist in den Feuilletons ein Satz häufig zu hören oder zu lesen: „Die Katze ist aus dem Sack!“ Worum geht es? Der deutsche Philosoph Martin Heidegger führte in der Zeit von 1931 bis zum Anfang der siebziger Jahre mit Unterbrechungen geheime Denktagebücher, die sogenannten Schwarzen Hefte. Nur wenige Familienangehörige und Geliebte bekamen Auszüge aus den vierunddreißig Wachstuchheften zu sehen (einige Zitate waren allerdings in Frankreich bekanntgeworden). Sonst konnte nur vermutet werden, dass da noch etwas passiert. Gegenüber Vertrauten hatte Heidegger gelegentlich bemerkt, er habe die Katze noch gar nicht aus dem Sack gelassen. Er verfügte testamentarisch, dass die Hefte erst am Schluss der Werkausgabe publiziert werden. Nun sind die ersten drei Bände der Manuskripte beim Verlag Vittorio Klostermann erschienen (der erste Band: M. Heidegger: Gesamtausgabe. 4 Abteilungen / Überlegungen II-VI: (Schwarze Hefte 1931-1938).

Der Inhalt ist so bedrückend, dass der Fachwelt der Atem stockt. Selbst Heideggerschüler, die bisher ihren Lehrer gegen die längst bekannte „Nazinähe“ (vgl. dazu Victor Farías: Heidegger und der Nationalsozialismus u. von Holger Zaborowski: „Eine Frage von Irre und Schuld?“: Martin Heidegger und der Nationalsozialismus) verteidigt haben, gehen inzwischen die Argumente aus. Thomas Assheuer kommentiert für DIE ZEIT:

Die Hefte sind ein philosophischer Wahnsinn und in einigen Abschnitten ein Gedankenverbrechen. Es gibt nun keine Beruhigung mehr. Die treuherzige Geschichte, Heidegger habe sich nur kurz, nur für einen Wimpernschlag der Weltgeschichte, vom Faschismus verführen lassen, ist falsch. Selbst dort, wo er zu Hitler auf Distanz ging, tat er es nicht aus moralischer Empörung; er tat es, weil er sich vom Regime mehr erhofft hatte. „Aus der vollen Einsicht in die frühere Täuschung über das Wesen des Nationalsozialismus ergibt sich erst die Notwendigkeit seiner Bejahung, und zwar aus denkerischen Gründen.“

Die Aufzeichnungen durchzieht eine rüde Kritik des Juden- und Christentums (zu Heideggers Abkehr vom Katholizismus siehe hier), aber auch das Eingeständnis, er habe in seinem Hauptwerk Sein und Zeit den einzelnen Menschen überschätzt. Heidegger hofft nun auf den totalitären Staat, erkennt jedoch bald, dass auch der Nationalsozialismus dem Sein nicht zum Durchbruch verhilft. Nur ein Gott kann uns noch retten, sollte er später sagen. Er meinte damit nicht den jüdisch-christlichen Gott, sondern den Gott eines neuen Heidentums, einen Gott, mit dem sich der Mensch solidarisiert.

Die Tatsache, dass genau der Philosoph, der neben Nietzsche den Eintritt in das spätmoderne oder postmoderne Denken maßgeblich mitbestimmt hat, die Menschen, insbesondere die Juden, zutiefst verachtet und den deutschen Staat vergöttert hat, wird Anlass dafür geben, das Erbe der hermeneutischen und existentialistischen Philosophie noch einmal genauer zu betrachten. Die Elite der Dekonstruktion, unter ihnen der aus Litauen stammende Emmanuel Levinas oder die Franzosen Michel Foucault und Jacques Derrida, steht in der denkerischen Schuld Heideggers.

Wer einen Eindruck von der Erschütterung haben möchte, die derzeit die Philosophenwelt erfasst, sollte sich die SWR2-Sendung „Heideggers ‚Schwarze Hefte‘“ anhören. Zur Gesprächsrunde gehören Prof. Dr. Micha Brumlik (Philosoph, Senior Advisor des Zentrums für Jüdische Studien, Berlin/Brandenburg), Prof. Dr. Rainer Marten (Philosoph, Universität Freiburg) und Prof. Dr. Peter Trawny (Philosoph, Herausgeber von Martin Heideggers „Schwarzen Heften“, Bergische Universität Wuppertal) sowie der Moderator Eggert Blum.

Hier:

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