Sigmund Freud und die Religion

Will man heute Freud angemessen gedenken, so braucht es ein gehöriges Maß “Entmythologisierung”. Besondere Beachtung verdiene laut Bonelli, Leiter der Forschungsgruppe Neuropsychiatrie an der Sigmund Freud Universität Wien, Freuds Verhältnis zur Religion sowie seine ausgeprägte Wissenschaftsgläubigkeit. Die Nachrichtenagentur KATHPRESS hat mit ihm gesprochen und meldet:

“Freud hat Religion schlichtweg abgelehnt, sie gar als Pathologie behandelt.” Religion sei für ihn immer “ein Reibebaum” gewesen: “Er hat sie abgelehnt, aber zugleich hat ihn Religion auch fasziniert”. Der Grund für diese Ablehnung sei “schlichtweg der Zeitgeist” gewesen: Es entsprach der Stimmung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dass Technik alles und Religion nichts war. “Darwin hat die Entstehung des Menschen erklärt, alles schien technisch machbar.” Gefangen im geschlossenen System Freud sei ganz dieser Weltanschauung verfallen gewesen, so Bonelli. Das werde nicht zuletzt bei Freuds Skizze der menschlichen Psyche als “psychischer Apparat” deutlich. “Bei Freud gibt es keinerlei Freiheit”, bringt Bonelli das Problem auf den Punkt: “Der Mensch ist eine Maschine, alles hat seinen Grund im Ich, Es oder Über-Ich”. Hinzu komme, dass Freuds Thesen – entgegen seinem eigenen Beharren auf strenger Wissenschaftlichkeit – bis heute “weder beweisbar noch falsifizierbar sind”, so Bonelli, sondern “ein eigenes, in sich geschlossenes System” darstellen. Dieses System habe Freud so sehr gegen Kritik immunisieren wollen, dass er sogar einzelne Fälle, die er selbst zur Stützung seiner Thesen heranzog, “gefaked” hat, so Bonelli. Damit jedoch sei klar, dass Freud nicht etwa nüchterner Beobachter gewesen sei, sondern “seine Weltanschauung, vor allem seinen Materialismus, tief hineingesenkt hat in seine Theoriebildung”. Als Person sei Freud ein schwieriger Charakter gewesen, so der Psychiater Bonelli weiter – “wie man es oft bei narzistischen Persönlichkeiten feststellen kann”: So verbat der aus jüdischer Familie stammende erklärte Atheist Freud etwa nach der Heirat mit seiner Frau Martha, einer gläubigen Jüdin, dieser jede Form der Religionsausübung. Seinen Kindern gegenüber sei Freud eher distanziert gewesen, wenngleich er sich für sie und ihre Entwicklung aus wissenschaftlich-psychologischer Sicht interessiert zeigte. Seinen Schülern und Mitarbeitern sei Freud “mal großväterlich, mal wie ein Tyrann” erschienen, der keine anderen Meinungen neben seinen eigenen duldete, so Bonelli.

Hier ein DLF-Gespräch über Freud mit Raphael Bonelli:

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2014/09/23/dlf_20140923_0936_8093af67.mp3

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2 Kommentare
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Karl Letis
10 Jahre zuvor

Glaube ist etwas völlig anders als Wissen(schaft)

Wenn man den Glauben nicht in einen für den Menschen sinnvolle Richtung lenkt, dann beten die Menschen Fußballvereine und iPhones an.

Roderich
10 Jahre zuvor

@Karl, Glaube ist etwas völlig anders als Wissen(schaft) Wissen ist (nicht zufällig) begründeter wahrer Glaube. Glaube und Wissen sind also nicht grundsätzlich verschieden, sondern nur graduell. (Natürlich gibt es nicht nur das „Für-wahr-Halten“ (assensus) im Christentum, sondern auch das Vertrauen (fiducia) – beides gehört zum christlichen Glauben dazu; aber auch im Alltag bei nicht-religiösen Überzeugungen müssen wir bestimmten Ansichten „vertrauen“, insofern als wir unsere Lebensentscheidungen auf für wahr gehaltene Überzeugungen basieren.) Die meisten Überzeugungen, die man hat – und gewiss die Überzeugungen über fast alles, was im Leben relevant ist – sind kein „Wissen“. Dass Australien existiert, oder wie wir heißen, oder dass Deutschland keine Halbinsel ist – das wissen wir fast immer nicht aus eigener Erfahrung, sondern auf Basis von „Zeugnis“. Wissenschaft ist einfach eine methodisch gesicherte Erkenntnis, aber sie sind kein Wissen – wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse können sich auch als falsch erweisen. Zweitens deckt Naturwissenschaft nur einen ganz eingegrenzten Bereich ab – wiederholbare Ereignisse in der Natur, d.h.… Weiterlesen »

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