Die zunehmende sprachliche Verrohung in der Corona-Debatte gibt Anlass zur Sorge. Für manche Ungeimpfte sind die Geimpften „Systemlinge“ oder gar Träger eines widergöttlichen „Malzeichens“. Einige Impfbeführworter rüsten wiederum rhetorisch gegenüber Ungeimpften auf. Sie werden etwa mit einem Blinddarm verglichen, der für das Überleben nicht notwendig sei. Immer wieder ist von der „Pandemie der Ungeimpften“ die Rede (vgl. auch hier). Beängstigend: Die breite Gesellschaft nimmt kaum Anstoß an diesen Zuschreibungen. Stellen wir uns vor, über andere „Stämme“ in unserem Land würde so gesprochen und geschrieben.
Jan David Zimmermann hat diesen Tribalismus mit seinen sprachlichen Eskalationen dokumentiert und nachdenkenswert kommentiert. Ein Auszug:
Wie weit diese Eskalation bereits fortgeschritten ist, wurde mir auch an anderer Stelle bewusst.
Durch einen Beitrag zweier Polit-Kommentatoren, die auf ihrem YouTube-Channel 0punkt unter dem Titel „Alles Gute Österreich“ die gegenwärtige Politik und die mediale Berichterstattung ironisch-bissig kommentieren/analysieren, bin ich auf das ORF-Interview von Lou Lorenz-Dittelbacher mit dem Epidemiologen Gerald Gartlehner der Donauuniversität Krems vom 17.12.2021 gestoßen. Die in diesem Interview vorkommende sprachliche Entgleisung ist das jüngste Beispiel eines unreflektierten bis zynischen Umgangs mit Sprache.
Die Kommentatoren von 0punkt weisen in ihrem Beitrag zurecht daraufhin, dass die im Interview auftauchende medial-politische Bezeichnung „Weihnachtsamnestie“ für die Tatsache, dass nun auch ungeimpfte Personen mit ihrer Familie Weihnachten feiern dürfen, eine Gleichsetzung Ungeimpfter mit Häftlingen bedeutet. „Weihnachtsamnestie“ bedeutet eben ursprünglich nichts weniger als die frühzeitige Entlassung (also Begnadigung) von Häftlingen aus dem Gefängnis durch die Regierung rund um Weihnachten, ja, mitunter sogar der Entfall der Todesstrafe in Ländern, wo sie üblich ist. Das Bedeutungsfeld der „Kriminalität“ in Kombination mit „Ungeimpften“ ist dabei wohl kein Zufall, wenn man sich die Mehrzahl der Berichterstattungen rund um das Thema der Anti-Corona-Demos oder überhaupt kritischer Stimmen genauer ansieht: Nach der gefährlichen Eskalation der kriminellen Ungeimpften auf den Demos (auch wenn viele geimpfte Personen ebenso auf den Demonstrationen sind) folgt die gnädige Amnestie vonseiten des Staates.
Immerhin entlarvten sich Regierung und Medien selbst, wenn sie mit solchen Begriffen klarmachen, wie viel Bürgerinnen und Bürger ohne Covid-Impfung ihnen noch wert sind.
Unheimlich an der Sache ist jedoch nicht nur die Verwendung des Begriffes selbst, sondern dass er weitgehend widerspruchslos angenommen wird.
Wie auch die Kommentatoren von 0punkt frage ich mich: Wieso akzeptieren wir mittlerweile eigentlich als Gesellschaft völlig unkritisch solche Begriffsverwendungen? Und das in einer Gesellschaft, die ansonsten eine beachtliche Pedanterie an den Tag legt, wenn es um diskriminierende Begriffe geht? Eine Gesellschaft, wo in den (sozialen) Medien und insbesondere von „linker“ Seite immer wieder davon gesprochen wird, dass man „woke“ sein muss, also wach und hellhörig gegenüber Benachteiligungen und Diskriminierungen verschiedenster Art? Schon erstaunlich. Während nämlich auf sprachliche und sonstige Eskalationen von der „falschen“ Seite sofort eine Welle der Empörung folgt, sind Entgleisungen von der „richtigen“ Seite offenkundig völlig in Ordnung und fallen gar nicht weiter auf, ziehen auch keine Konsequenzen nach sich.
Oder:
Diese ideologisch verbohrte Verengung des öffentlichen Diskurses findet bereits seit vielen Jahren statt, Corona war jedoch der Brandbeschleuniger, der den Autoritarismus vollends entfesselte. Jeder ist nun mittlerweile ausnahmslos ein Rechter oder Querdenker, wenn er auch nur leise Kritik an der 2G-Regel, der Impfpflicht, Freiheitsbeschränkungen oder an den Überwachungspraktiken durch eine überbordende und dystopisch anmutende Digitalisierung äußert.
Wie auch immer man zum Impfthema stehen mag: Eine Sprache, die Menschen gegeneinander aufhetzt, hilft nicht, Konflikte zu lösen. Wie gern zeigen wir doch mit dem Finger auf andere, anstatt uns einmal zu fragen, was wir zur Besserung und Befriedung beitragen können.
Ich empfehle die Lektüre des gesamtes Textes: www.jandavidzimmermann.com.
VD: AW
Danke. Es erschreckt schon welche Wortwahl gerade auch unter Christen egal von welcher Seite herrscht. Einen klaren Standpunkt zu vertreten ist das eine, die Grenzen zu kennen, ab denen es persönlich wird und wo man die zum Teil dürftige Fakten verlässt das andere. Ertraget einander in Geduld heisst in der Schrift und fürchtet euch nicht, denn letzten Endes hat ER alles in der Hand
In „Die Epistemisierung des Politischen“ (2021) schreibt der Wissenssoziologe Alexander Bogner, dass eine Gesellschaft eine „gemeinsame Wahrheitsgrundlage“ brauche. Diese ist in unserer Gesellschaft nicht mehr gegeben (Konsequenz des Säkularismus). Daher ist die Verrohung der Sprache ein folgerichtiges Symptom dieser Entwicklung (Tribalismus). Die ursächlichere politische Polarisierung wird nicht durch einen „zivilen Diskurs“ überwunden werden. Zimmermann, der über Sprache im Nationalsozialismus forschte, nennt dies zu Recht einen „Abgrund“:
„Unheimlich an der Sache ist jedoch nicht nur die Verwendung des Begriffes selbst, sondern dass er weitgehend widerspruchslos angenommen wird. […]
Die „neue Normalität“ ist nicht weniger als das Setzen einer völlig veränderten Realität. Innerhalb dieser neuen Normalität als neue Realität finden alle sprachlichen Tabubrüche und Bedeutungsverschiebungen statt, die uns seither heimsuchen.“
Uns kann nur ein Gott retten!
Kürzlich habe ich nochmal Victor Klemperers „LTI“ gelesen. Als ich das als Schüler gelesen habe, hat es Eindruck hinterlassen, jetzt erschüttert es mich.
Natürlich besteht die Gefahr, die Dinge (v.a. gefühlte Parallelen) überzubewerten, gleichzeitig beschreibt Klemperer immer wieder, wie er und seine Zeitgenossen fortwährend Entwicklungen unterbewertet haben…
@ David
Damit dieser Vergleich mit dem Dritten Reich nicht hinkt und keine geschmacklose Verharmlosung des Nationalsozialismus darstellt, müsste man annehmen, dass hinter der Impfung ein Ausrottungsplan steckt. Kritik an Autokratismus schön und gut, aber nicht gleich alles in einen Topf werfen.
@ Clemens: Mein Kommentar ist unklug formuliert.
Mich erstaunen seine Beobachtungen bzgl. der Sprachentwicklung (Umdeutungen, neue Verwendungen, Verrohung etc.) und gewisse Parallelen dazu, die ich wahrnehme. Und das habe ich meinen Eindrücken der Schilderungen seiner Erlebnisse durcheinander gewürfelt.
Kleine Entgegnung: die von Klemperer beschriebene Sprache ist – zumindest in den Wurzeln – älter als der Ausrottungsplan, deshalb ist die Beobachtung von Parallelen in den Mechanismen keine Gleichsetzung in dem Sinne wie es bei Dir angekommen ist. Solch ein Vergleich wäre in der Tat Unsinn.
Ich bin zweimal mit Biontech geimpft, habe das aber bereut. Ich habe mich total panisch und hysterisch machen lassen durch reißerisch inszenierte Bilder aus aller Welt, die oft manipulativ verfälscht wurden, und gefährliche, totalitär-antidemokratische Politiker, die mir vor allem in den letzten vier, fünf Monaten gezeigt haben, wo sie wirklich stehen und daß es ihnen gar nicht mehr nur um Corona geht, sondern um Unterdrückung und Kontrolle. Ich werde mich kein drittes Mal impfen lassen, schon gar nicht nach gerade mal sechs Monaten. Ich warte auf den Totimpfstoff und halte mich auch an keinerlei Kontaktbeschränkungen mehr, die ich (teilweise nicht verordnet, sondern freiwillig) eineinhalb Jahre über mich ergehen ließ. Ich treffe mich mit allen Freunden und der ganzen Familie – auch mit allen Ungeimpften!
@ David
Danke für die Erklärung!