Martin Luther

Wer schützt Luther?

Eine zutreffende Beobachtung von Ulrike Jureit aus ihrem Artikel „Wer schützt Luther vor seinen Lobrednern?“ (FAZ vom 17.03.2017, Nr. 65, S. 14):

Die aktuellen Anstrengungen zum Reformationsjubiläum 2017 verdeutlichen hinlänglich den Wunsch, sich identifikatorisch auf den 31. Oktober 1517 zu beziehen. Es scheint kaum noch möglich, historische Großereignisse zu vergegenwärtigen, ohne danach zu fragen, welches Identitätsangebot diese Vergangenheit für uns heute bereithält. Das überrascht nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass unsere Erinnerungskultur, vor allem in Deutschland aufgrund der Geschichte des Nationalsozialismus, bereits seit Jahrzehnten zu einer von Identitätsfragen gesteuerten Naherinnerung neigt. Sie macht es überaus beschwerlich, historische Bezugsereignisse früherer Epochen in ihrer zeitgenössischen Komplexität jenseits vorschneller Skandalisierangen und affektgesteuerter Mitmachangebote zu vergegenwärtigen. An den zunehmend touristisch und kommerziell gestalteten, gleichwohl als authentisch deklarierten Orten will Geschichte offenbar weniger erlernt, reflektiert oder verstanden, sie will vor allem erlebt und gefühlt werden.

Die Waldenser und Luther

Der DLF publizierte vor einigen Tagen einen Beitrag über die Waldenser und Martin Luther. Leider fallen dort etliche Dinge unter den Tisch, während auf der anderen Seite die heute überwiegend liberalen Strömungen der Bewegung unkritisch, ja wohlwollend, präsentiert werden. Es fehlt etwa der Hinweis, dass die Waldenser eine Bibelbewegung waren, die die Evangelientexte in den Volkssprachen unter die Leute gebracht hat. Die Waldenser haben außerdem fleißig evangelisiert. Die Katholische Kirche bekommt mehr Raum als Luther. Verschwiegen wird, dass in Italien die Waldenser seit 1979 mit den Methodisten eine gemeinsame Kirche bilden.

Mein früh verstorbener Kollege Peter H. Uhlmann hat vor ca. 17 Jahren das Manuskript „Der Erweckungsprediger und Reformator Pierre Waldes und die Waldenserbewegung“ verfasst, dass ich als Ergänzung zur DLF-Sendung herzlich empfehlen kann. Es führt geneigt in die durchaus ambivalente Bewegung ein. Über die „Kolporteure“ im 19. Jahrhundert schreibt er etwa:

Eine ganz besonders mühsame, aber zugleich segensreiche Arbeit ist die der „Kolporteure“. Es sind reisende Evangelisten, die mit ihrer Last an Bibeln, Neuen Testamenten und Andachtsbüchern von Haustür zu Haustür ziehen. Durch manche Gespräche und den nachfolgenden Bekehrungen von Italienern entstehen da und dort Gemeinden. Wie viele Beleidigungen, Nachstellungen, ja Verfolgungen müssen sie auf sich nehmen! Diese Kolporteure leben auf Taschengeldbasis, weit unter dem Existenzminimum. Doch die Liebe zu Jesus ist größer als alle Widerwärtigkeiten! – Wie viel anders sieht unser Leben zu Beginn des 21. Jh. aus! Wie wenig sind wir doch bereit, um Jesu willen verachtet zu werden und materielle Nachteile auf uns zu nehmen.

Hier das Manuskript: WALDENSER%20Broschu%CC%88re.pdf.

„Der Mensch will nicht, dass er Sünder sei“

Gerhard Ebeling schreibt in Anlehnung an Luther über den christlichen Sündenbegriff (Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 1, 1979, S. 365):

„Wie man die Sünde als ein Nichtwollen, daß Gott Gott sei, charakterisieren kann, so will auch der Sünder nicht, daß er Sünder sei, wie er gleichfalls nicht will, daß er Geschöpf sei. Der Sünder will also die Sünde nicht wahrhaben.

Martin Luther – Aus Liebe zur Wahrheit

Berthold Schwarz hat 2016 eine Buchausgabe zu Martin Luther besorgt:

51+cQ1yL5QL SX327 BO1 204 203 200Der Verlag schreibt:

Martin Luther hat bereits zu seinen Lebzeiten polarisiert. Die einen waren fasziniert von ihm und von der Wiederentdeckung des biblischen Evangeliums von der Gnade. Sie ließen sich von ihm zu neuer Christus- und Glaubenstreue einladen. Die Entdeckung der Bibel als Lebens- und Glaubensbuch sowie die anbetende Anschauung des Gekreuzigten faszinierte viele. Andere waren ihm weniger wohlgesonnen. Sie wünschten ihm die Pest an den Hals, weil er mit seinen an der Bibel orientierten „Reformen“ ganz Europa in Aufruhr versetzte und die gewohnten Ordnungen von Kirche und Obrigkeit zu gefährden drohte.

Luther selbst blieb zeitlebens der „Liebe zur Wahrheit“ verpflichtet, so wie er sie verstand. Was diese Liebe zur Wahrheit bei ihm bedeutete, das will dieses Buch 500 Jahre nach dem Bekanntwerden der 95 Thesen gegen den Ablasshandel im Jahre 1517 in Erinnerung rufen und auf die eine und die andere Weise neu zur Sprache bringen.

22 Autoren haben in unterschiedlich gewichteten Beiträgen die Vielfalt der Gedanken Luthers zur Reform der Kirche „an Haupt und Gliedern“ oder Aspekte ihrer Wirkungsgeschichte ausformuliert. Dadurch können auch heute wieder interessierte Christen Luthers Bemühungen um ein an Christus (solus Christus), an der Bibel (Sola scriptura), an der Gnade (sola gratia) und am Glauben (sola fide) orientiertes Christenleben erstmals oder vertieft kennenlernen, und dabei auch wahrnehmen, was es in der Konsequenz heißen kann, zur Ehre Gottes zu leben (soli Deo gloria). Deshalb ist das Buch auch in diese fünf Kategorien nach den „sola-Begriffen“ unterteilt, die klassisch das reformatorische Erbe zusammenfassen. Diesen Oberbegriffen sind die Einzelbeiträge thematisch zugeordnet …

Die Erinnerung an Luthers „Liebe zur Wahrheit“ auf unterschiedlichen Gebieten, zu unterschiedlichen Themen, geschieht letztlich im Sinne von „alles zur Ehre Gottes“, des Gottes, der diesen unscheinbaren Mönch zu einem mächtigen Werkzeug in der Verkündigung seines Wortes und in der Reformation seiner christlichen Kirche auserkoren hat. Es ging und geht ja dabei stets zuerst um Gott und seine Sache, erst danach um Martin Luther, einem seiner fehlerhaften und doch treuen Mitarbeiter. Luther selbst lehnte es bekanntlich vehement ab, als Christen seiner Zeit sich nach ihm „Lutheraner“ nennen wollten: „Wie keme ich armer stinckender madensack datzu, das man die kynder Christi solt mit meynem heyloszen namen nennen?“ In diesem Sinn, Ihnen allen eine spannende und dabei Mut machende Lektüre.

Als Autoren haben mitgewirkt: Michael Kotsch, Gottfried Hermann, Reiner Andreas Neuschäfer, Berthold Schwarz, Karl-Heinz Vanheiden, Armin Wenz, Reinhard Slenczka, Friedhelm Jung, Helge Stadelmann, Ron Kubsch, Bernhard Kaiser, Uwe Siemon-Netto, Daniel Facius, Thomas Jeising, Rolf Sons, Jan van de Kamp, Ulrike Treusch, Christian Lehmann, Ralf-Thomas Klein, Joachim Kummer, Walter Hilbrands, Christian Hermann.

Ein Inhaltsverzeichnis kann hier heruntergeladen werden: IHVZ_luther_schwarz.pdf.

Thomas Müntzer und seine radikale Reformation

Thomas Müntzer war anfangs Luthers Bruder im Geiste. Doch dann trennten sich ihre Wege, weil Müntzer sich aus Luthers Sicht der Schwärmerei zuwandte. Tatsächlich kämpfte Münzer gegen zwei Grundfeiler der reformatorischen Theologie an, nämlich gegen das „sola scriptura“ – „allein durch die Schrift“ und das „sola fide“ – „allein aus Glauben“. Zwei Themen, die auch heute von großer Bedeutung sind. (Was würde wohl Luther zur protestantischen Christenheit der Gegenwart sagen?)

Dass wir viel aus dem Streit zwischen Luther und Müntzer lernen können, geht aus dem großartigen DLF-Beitrag über Thomas Müntzer hervor (auch wenn die Sympathien für Müntzer im Beitrag überwiegen):

Teil 1: Reformation ohne Kompromisse

 

Teil 2: Die Gewalt dem „gemeinen Volk“ geben:

 

Bis es keinem mehr weh tut

Die Theologin Dorothea Wendebourg wirft der Evangelischen Kirche vor, falsche Schlüsse aus Luthers Antijudaismus zu ziehen. Statt Unterschiede zum Judentum zu ertragen, weiche die EKD ihre Lehren auf. Wendebourg, stellvertretende Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum, schreibt in einem Beitrag für die Zeitschrift Zeitzeichen: „So soll ausgerechnet das 500-jährige Jubiläum der Reformation an allen Fronten zur großen Feier ihrer theologischen Harmlosigkeit werden.“

Diese Frage besteht aus einem langen Satz. Wie man sich denn nach Jahrhunderten der Juden-Unterdrückung und nach dem Holocaust jubelnd auf Luthers Überzeugung von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben an Jesus Christus beziehen könne – obwohl doch Luthers Judenhass genau darin seinen Grund hatte, dass die Juden diesen Messias-Glauben an Jesus nicht teilen.

Nun die dritte Möglichkeit. Wenn die Familie das kontaminierte Erbe schon nicht loswird – und es demnächst ja auch groß feiern will –, dann baut sie das Erbe so lange um, bis es keinem mehr wehtut. Bezogen auf Luther: Wenn dessen Christus- und Rechtfertigungsglaube die Gefahr der Judenfeindlichkeit impliziert, dann muss man jenen reformatorischen Glauben so abändern, dass es keine Gegensätze mehr gegenüber den Juden gibt.

Dass die EKD hierzu tendiert, befürchtet die angesehene evangelische Theologin und Reformationshistorikerin Dorothea Wendebourg. In einem scharfen Text für die protestantische Zeitschrift „Zeitzeichen“ wirft Wendebourg, Professorin für Kirchengeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, der EKD vor, „dass die spezifischen Einsichten der eigenen Tradition abgeschmolzen werden, bis kein fundamentaler Widerspruch anderer und zu anderen mehr übrig bleibt“.

Hier ein Beitrag dazu, den Matthias Kamann für die WELT geschrieben hat: www.welt.de.

Das Reformationsportal

Anlässlich des Reformationsjubiläums wurde von mehreren Archiven ein digitales Archiv zur Reformation zusammengestellt.

Ziel des Projekts ist es, ausgewählte Quellen aus den mitteldeutschen Kernlandschaften der Reformation für eine breite Öffentlichkeit im Internet zugänglich zu machen. Die beteiligten Archive sind zentrale Anlaufstellen für die Erforschung der Reformation. Sie betreuen herausragende schriftliche Überlieferung gerade zu den Anfängen dieses gesamtgesellschaftlichen Erneuerungsprozesses.

Mit einem Ausstellungsmodul (Schaufenster) und einem Forschungsmodul (Visitationsprotokolle) richtet es sich sowohl an Bildungseinrichtungen, kirchliche Gruppen sowie interessierte Laien als auch an die Fachwissenschaft und die Orts- und Heimatforschung.

Die gemeinsame Präsentation im Internet ermöglicht es, Dokumente über die historisch und überlieferungsgeschichtlich gewachsenen Länder- und Archivgrenzen hinweg zusammenzuführen. Sie wurden hochauflösend digitalisiert, wissenschaftlich erschlossen und innerhalb des Reformationsportals Mitteldeutschland bereitgestellt.

Gefördert wurde das Projekt durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen sowie durch die beteiligten Bundesländer Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Kooperationspartner waren darüber hinaus das Sächsische Staatsarchiv/Hauptstaatsarchiv Dresden, das Brandenburgische Landeshauptarchiv Potsdam und das Hessische Staatsarchiv Darmstadt.

Das sind sehr feine Dokumente zu finden. Zum Beispiels das Dokument, in dem Martin Luther seine Position in der Abendmahlfrage vor dem Kasseler Gespräch Melanchthons mit Bucer unterstreicht. Leider ist der Server hin und wieder überlastet.

Hier: www.reformationsportal.de.

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„Wenn du Christus ansiehst“

Martin Luther in seinem Kommentar zu Galater 3,13:

Wenn du diese Person Christus ansiehst, siehst du Sünde, Tod, Zorn Gottes, Hölle, Teufel und alle übel besiegt und zu Tode gebracht. Sofern also Christus durch seine Gnade in den Herzen der Gläubigen regiert, ist da keine Sünde, kein Tod, kein Fluch. Wo aber Christus nicht erkannt wird, bleiben diese furchtbaren Mächte. Darum wissen die, die nicht glauben, nichts von jener Wohltat und von dem Sieg. Johannes sagt: ,,Unser Glaube ist der Sieg“ (1.Joh. 5,4).

Die am Kreuz geborene Liebe

Wir kennen sie, unsere lieben christlichen Autoren, die uns in ihren vielen Büchern erzählen, wie schön und wertvoll wir alle sind. Du bist ein so wunderbarer Mensch, dass Gott sich aufgemacht hat, dich zu suchen! Weißt du nicht, wie schön du bist?

Was für eine erbärmliche und kraftlose Botschaft! Wer die Güter, die Gott angenehm stimmen, in sich selbst sucht, hat nichts begriffen.

Wie wunderbar heilsam ist dagegen, was Martin Luther uns zu sagen hat (HD, XXIV):

[Gottes Liebe, wenn sie am Menschen lebendig wirksam ist, liebt] „Sündige, Böse, Törichte und Schwache, um sie zu Gerechten, Guten, Klugen und Starken zu machen und so strömt sie heraus und teilt Gutes aus. Denn die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht deshalb geliebt, weil sie schön sind. Menschliche Liebe flieht daher die Sünder als Böse. So sagt Christus: ‚Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu suchen, sondern Sünder‘ (Matth. 9, 13). Das aber ist die am Kreuz geborene Liebe des Kreuzes, die sich nicht dorthin wendet, wo sie Gutes findet, um es für ihre eigenen Zwecke zu gebrauchen, sondern dorthin, wo sie den Bösen und Armen Gutes bringen kann.

Wenn gute Werke dem Glauben im Weg stehen

In seiner Römerbriefvorlesung von 1515/16 sagte Martin Luther:

Wohl finden sich viele, die die Güter zur Linken, die zeitlichen, um Gottes willen für nichts achten und gerne preisgeben, wie Juden und Ketzer tun; aber die auch die Güter zur Rechten, die geistlichen Güter und die rechtschaffenen Werke für nichts achten, um Christi Gerechtigkeit zu erlangen, deren sind es wenige. Das vermögen Juden und Ketzer nicht. Und doch wird, es sei denn, dass dies geschehe, niemand selig werden. Immer wollen und hoffen sie darauf, dass ihre eigenen Werke vor Gott geachtet und belohnt werden. Aber unverrückbar fest steht der Satz: „Es liegt nicht an jemandes Wollen und Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“ (Röm. 9,16).

Anm.: „Jude“ ist hier im Sinne von „Werkgerechtigkeit“ zu verstehen und nicht antisemitisch gemeint.

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