Am 4. April hatte ich auf eine kurze Rezension der der Transformativen Ethik von Faix und Dietz verwiesen, die Pfarrer Ulrich Parzany veröffentlich hat. Inzwischen ist eine ausführliche Besprechung von Thomas Jeising veröffentlicht worden, auf die ich gern hinweise. Fazit:
In dieser „christlichen“ Sexualethik findet der geneigte Leser Rechtfertigungen für fast jeden Umgang mit Sexualität. Ich setze „christlich“ in Anführungszeichen, weil ein bewusster Abschied von der kompletten christlichen Tradition vorliegt und nicht nur notwendige Korrektur. Die wiederholte Betonung, man orientiere sich an der Bibel, meint eine selektive Auswahl biblischer Motive, soweit sie die vorgefasste Meinung zu bestätigen scheinen. Die Autoren sehen kein Problem, sich die Sache im Zweifel hinzubiegen. Auch die historischen Exkurse sind tendenziös, beruhen auf wenigen Quellen, die wieder sehr selektiv herangezogen werden. Dabei stellen sich Dietz/Faix als selbstkritisch bescheidende Vermittler dar, während sie tatsächlich mit Vehemenz ihre Agenda durchpeitschen. Diese Art hat etwas von Unehrlichkeit.
In ihrer Kritik einer christlichen Ethik, die geschöpflichen Gegebenheiten Bedeutung beimessen will, sind die Autoren rigoros: alles Biologismus. Biblische Ordnungen, die vom Schöpfer passend zu seiner Schöpfung in ihrem gefallenen Zustand gegeben wurde, haben für sie keine Relevanz. An keiner Stelle gelingt es ihnen, einen eigenen hilfreichen Akzent in herausfordernden ethischen Fragen zu setzen. Offensichtliche Entwicklungen, wie die erhebliche Zunahme psychischer Störungen bei jungen Menschen, die offenbar auch mit Orientierungslosigkeit in Fragen der Identität und Sexualität verbunden sind, werden in ihrer ethischen Dimension nicht wahrgenommen. Es findet sich nicht einmal ein Versuch, eine christliche Antwort zu geben.
Nach evangelischem Verständnis ist biblisch-christliche Ethik Gesetz, also Gottes Weisung für den Menschen, auf der Grundlage des Evangeliums von der Vergebung und ewigen Erlösung durch Christus. Wegweisung oder Orientierung kann die transformative Ethik nirgendwo bieten, weil sie einfach nur kritiklos wiederholt, was jeder allerwärts hören kann. Bei all dem Ausrichten an den Transformationen haben die Autoren scheinbar nicht bemerkt, dass überall Menschen nach Orientierung fragen und Wegweisung suchen. Hier kann eine christliche Sexualethik Hilfe bieten, wenn sie Gottes Gedanken über die Geschlechtlichkeit entfaltet. Sie ist auch dann eine Ethik zum Selberdenken im Sinne des aktiven Nachdenkens der Gedanken Gottes. Was hier vorgelegt wurde, erscheint eher als eine Ethik des Nachplapperns des aktuellen sozialwissenschaftlichen Mainstreams.
Mehr: bibelbund.de.
Aus meiner Sicht greift ein bewusster Abschied von der kompletten christlichen Tradition in dieser Form von Theologie sogar noch zu kurz. Der Abschied umfasst eben auch die biblischen Aussagen zu diesem Bereich.
Transformative Ethik erscheint lediglich als ein moderner (und scheinfrommer) Ausdruck für die (hyper-)kritisch-historischen Methoden, mit denen liberale Theologen bereits seit vielen Jahrzehnten Unheil anrichten.
Leider schaffen es die HKM nach und nach, auch in bisher zumindest halbwegs bibeltreuen Verlagen Fuß zu fassen. Buchempfehlungen werden da immer weiter erschwert.
Wenn man einmal in den ersten Seiten des Buches blättert, scheint mir intensiv der Geist von Brian McLaren oder Rob Bell entgegenzuwehen (Stichwort: Emerging Church). Da wäre es wohl ehrlicher gewesen, sich öfter auf diese beiden Vordenker zu beziehen, anstatt zum Beispiel Bonhoffer oder Paulus (Römerbrief) Zitate – sie stehen eben explizit für eine andere Ethik – zu vereinnahmen. Gemäß der Autoren ist das zentrale Thema der „jesuanischen Ethik eindeutig die Liebe“. Unter diesem Prinzip können dann auch die unterschiedlichsten sexualethischen Überzeugungen und Praktiken in der Kirche ihren Platz finden (Diejenigen, die hier nicht mitmachen, verlieren dann aber wohl irgendwann ihren Platz.). Nach Thorsten Dietz und Tobias Faix ist Gott „ein Gott in Bewegung, der Transformation bewirkt“. Da ist schon spannend, was wir von so einem Gott noch so alles in Zukunft erwarten dürfen und was dann noch so alles zerkleinert und angepasst wird. Die sexualethische Transformation von Dietz und Faix ist jedenfalls eine ziemliche Zerlegung einer biblisch begründeten Sexualethik.… Weiterlesen »
@Udo, ja genau. Deutlich wird auch, dass der Begriff „Liebe“ eine ganz eigene Füllung erfährt. Als etwas das Grenzen verwischt, Gebote egalisiert und den Menschen und sein Empfinden, seine gesellschaftlich geprägten Parameter in den Mittelpunkt stellt.
Ich befürchte, dass beide Autoren dafür wissentlich den biblischen Rahmen des Begriffs Liebe gründlich erodieren mussten.
2Petr 2,1 Es gab aber auch falsche Propheten1 unter dem Volk, wie auch unter euch falsche Lehrer2 sein werden, die heimlich verderbliche3 Irrlehren4 einführen5, indem sie sogar den Herrn6, der sie erkauft hat7, verleugnen8; und sie werden ein schnelles Verderben9 über sich selbst bringen.
1 pseudo-prophètai = Lügenpropheten; falsche Propheten; Propheten, die Irrtum vorbringen
2 pseudo-didaskaloi = Lügenlehrer; falsche Lehrer; Lehrer, die Irrtum lehren
3 apòleia Gen = Verderben, Zerstörung; verderblich; verderbenbringend
4 hairesis Pl = Häresie; Irrlehre; selbsterwählte Sonderlehre; Parteiung, die sich um eine Sonderlehre gruppiert; Menge: „verderbliche Irrlehren“
5 par-eis-agò = heimlich oder allmählich (= para) einführen (Langenscheidt-Menge)
6 despotès = [unumschränkter] Gebieter, Herr, Hausherr, Besitzer
7 agorazò = [auf dem Markt = agora] kaufen
8 arneomai Ptz Med = leugnen, bestreiten, verleugnen, nicht kennen wollen, nicht anerkennen, verweigern
9 tachinèn apòleian = rasches, schnelles Verderben / Zerstörung / Untergang
Es bleibt eigentlich nur noch die Frage, warum sich die Bibeltreuen nicht konsequent von falschen Propheten trennen. Wenn die EAD dies alles zulässt braucht es etwas neues. Wenn weiter in dieser Vermischung verblieben wird werden sich die Werte, die von der Schrift nicht haltbar sind weiter iausbreiten. So wird es auch in den NT Briefen dargestellt.
Wir beobachten hier den verzweifelten Versuch christlicher Eliten gesellschaftlich relevant zu bleiben. Die Gesellschaft hat längst ihre eigenen vom kirchlichen Apparat abgekoppelten ethischen Regeln und betrachtet diese Ausarbeitungen zum Beispiel für die Erziehung der eigenen Kinder als völlig irrelevant.
Der Sturm im Wasserglas findet also vorrangig innerkirchlich statt und ist in einer immer kleiner werdenden gesellschaftlichen Gruppe relevant. In der Pflichtschule hält er Einzug in den Religionsunterricht, an dem aber keiner mehr teilnimmt. Denn die säkulare Mehrheit interessiert sich schlicht nicht dafür. Das Werteverständnis bleibt milieu-spezifisch erstaunlich traditionell-konservativ – ohne den überholten kulturchristlichen Überbau:
„Herr liberaler Theologe mit seiner Bibel hat auch noch eine Meinung dazu!“ – Was ist ein „Theologe“? Was ist die „Bibel“? Die Postmodernen haben sich selbst dekonstruiert.
Für wen haben Faix und Dietz dieses Buch eigentlich geschrieben? Außerhalb des frommen Lagers wird es wohl wenig Beachtung finden. Es soll eine Botschaft an die Christen im Land sein, im erster Linie eine Provokation an die Konservativen, die möchte man ärgern, herausfordern und zu unbedachten Reaktionen verleiten. Gefährlich werden können diese Thesen für ungefestigte Gläubige, die weder eine klare Position zum geschrieben Wort haben, noch feste moralisch/ethische Grundsätze. In einer Umdeutung und Überhöhung des Liebes-Begriffs, der ohne jegliche Verbindung mit Wahrheit und Grenzen daherkommt und ausschließlich menschenzentriert ist, versucht man dieses Klientel zu vereinnahmen und ihres schlichten Glaubens zu berauben. Sind das lautere Motive, oder sind hier Wölfe im Schafspelz unterwegs auf der Jagd nach Beute?
Ich werde das Buch nicht lesen, ich begnüge mich mich kritischen Rezensionen, weil dieses zeitgeistige „nachplappern“ hinreichend bekannt ist !
Für die Geldgeber des Buchprojektes. Das war einfach.
Das Problem ist nicht die historisch-kritische Methode, die ist hervorragend brauchbar für das, wofür sie erfunden wurde. Das Problem ist, dass das christliche Zentrum die Kirchen verlassen hat. Damit bleiben dann eben nur noch die „Spinner“ übrig, egal welcher Fraktion.
Wenn man ins evangelische (evangelikale) Milieu schaut, stellt man schnell fest, dass es zwischen „Ungeküsst und doch kein Frosch“ und „Transformativer Ethik“ faktisch nichts mehr gibt. Der 97%-Mensch (heterosexuell verheiratet mit Kindern) ist bereits entkirchlicht. Die völlig abgehobenen, sich sorgfältig gegeneinander abgrenzenden religiösen Eliten sind dort längst nicht mehr anschlussfähig. Ihre Zielgruppe sind alte Leute und junge Aktivisten – genau die findet man dann in den Kirchen. Die Gesellschaft findet man längst woanders.
@Matze „Es bleibt eigentlich nur noch die Frage, warum sich die Bibeltreuen nicht konsequent von falschen Propheten trennen.“ Wer sind die Bibeltreuen, und wo finde ich diese? Manch Irrlehrer hält sich für bibeltreu, weil er die Schrift nach seinem Verständnis auslegt. Da mag das Verständnis falsch sein, da mag es auch genug Korrekturversuche durch Mitchristen gegeben haben, aber manches kommt halt nicht an. Nun ist die Frage: wer trennt sich dann von wem? Ich würde mit Faix und Dietz nicht unbedingt in der gleichen Gemeinde sein wollen, insbesondere wenn die dort eine Lehererlaubnis hätten. Realistisch gesehen bin ich dafür in Gemeinde aktiv, bei der ich nur auf die Gemeinde, nicht aber auf das gucken darf, was weiter oben in der Kirchenhierarchie vor sich geht. Falsche Propheten gibt es dort leider auch viele – aus meiner Sicht, die aber nicht jedermann teilt und auch nicht teilen muss. „Wenn die EAD dies alles zulässt braucht es etwas neues.“ Die EAD ist die… Weiterlesen »
@ Stephan
Die von dir genannten Bücherschreiberlinge, die sich bei der Welt anbiedern, werden – wie bereits gesagt wurde – in der „Welt“ nun mal nicht rezipiert. Die Adressaten sind schon explizit die Frommen. Und nicht wenige Fromme teilen mehr oder weniger offen die sexualethischen Positionen von Dietz und Faix. Ob es den kommentierenden Jungs hier passt oder nicht – Genauso wenig wie du es schaffst, alle christlichen Frauen zurück an den Herd zu schicken. Genauso wenig werden alle Frommen bereit sein, praktizierte Homosexualität oder außerehelichen Sex kategorisch abzulehnen.
Die Messe ist längst gelesen – da braucht es keine post-evangelikalen Bücherschreiberlinge.
Die EAD ist die Evangelische und nicht die Evangelikale Allianz Deutschlands – da ist alles drin, was auch nur irgendwie etwas mit „evangelisch“ zu tun hat. Es gab und gibt Sammlungsansätze, z.B. Evangelium21. Seien wir mal realistisch, gucken uns die Entwicklung der Kirchen und Freikirchen an mittels Mitgliederzählung, dann stellen wir fest, dass es kein Wachstum mehr gibt, sondern eher der Kampf um den Bestandserhalt läuft. Dieser „Kampf um den Bestandserhalt“ findet nur noch innerhalb eines spezifischen kirchlichen Milieus statt. Dieses kirchliche Milieu ist nicht (mehr) an die säkulare Mehrheitsgesellschaft anschlussfähig. (Das Schicksal teilt sie mit anderen Religionsgemeinschaften, die auch gern Parallelgesellschaften bilden.) Obendrein schrumpft das Milieu auch noch aufgrund der demographischen Entwicklung. Während vielen weltabgewandten Kleinstsekten durch Selbstreproduktion noch der Bestandserhalt gelingt, ist das breite evangelische Milieu nach erfolgreicher Übernahme des malthusianischen Evangeliums der Margaret Sanger gerade dabei, die Selbstausrottung abschließen. Man könnte auch ein verdientes Gottesurteil darin sehen. Theologisch gesehen wären Trennungen und Neugründungen erforderlich, praktisch mangels Masse… Weiterlesen »