Ein großer Irrtum der Gendersprachbewegung

Der Linguist Tim Hirschberg hat für die Zeitschrift DIE WELT einen fundamentalen Irrtum der Gendersprachbewegung herausgestellt. Typographische Sonderzeichen wie das Sternchen oder der Doppelpunkt sollen laut Vertretern einer geschlechtergerechten Sprache bildliche Vorstellungen in uns hervorrufen. Liest man das, was die Ratgeber für Gendersprache sagen, „könnte man glauben, wir projizierten uns gegenseitig eine Art Diashow ins Hirn, wenn wir uns unterhalten oder schriftlich miteinander kommunizieren. Doch das ist eine ausgesprochen naive Vorstellung. Die Fokussierung auf die mentalen Bilder, die Sprache angeblich heraufbeschwört, bedeutet eines der größten und vielleicht auch folgenreichsten Missverständnisse des Gender-Diskurses.“

Hirschberg schreibt weiter: 

Es gibt eine lange philosophische Tradition – an vorderster Stelle ist Gottlob Frege zu nennen – die überzeugend darlegt, warum (mentale) Bilder für die Sprache eher unwichtig sind. Schon der Volksmund weiß, wer Zugang zur Gedankenwelt anderer hat, ist ein Gedankenleser und kein -seher. In diesem Sinne stellt sich sprachliche Bedeutung nicht als etwas Bildliches, sondern als etwas Abstrakt-Logisches dar – im Fachjargon spricht man von Propositionen.

Freges Begründung hob auf die großen individuellen Unterschiede ab, die bei den an die Sprache gekoppelten Vorstellungen zu beobachten sind. Manche assoziieren mit dem Wort „Liebe“ das Bild händchenhaltender Zweisamkeit, andere wiederum das eines biochemischen Hormoncocktails. Hätten solche Vorstellungen eine maßgebliche Funktion in der Sprache, müsste Kommunikation jämmerlich scheitern, denn alle wären in ihrer privaten Semantik gefangen.

Der Versuch, durch Sprache gewisse bildliche Vorstellungen in den Köpfen zu wecken, erinnert Hirschberg an die Arbeitsweisen von Werbeagenturen: 

Der Versuch, Angemessenheit oder gar Gerechtigkeit in visuellen Darstellungen zu suchen, hat bisweilen etwas Verzweifeltes. Davon zeugen die grafischen Illustrationen in vielen Broschüren, die für das Ziel der politischen Korrektheit alle möglichen Hauttöne, Leibesformen und Lebensstile in eine Abbildung hineinquetschen. Trotz der Anstrengungen bleibt stets eine Gruppe außen vor, seien es die Alten, Hässlichen usw. Der offensichtliche Anspruch, Diversität abzubilden, macht diesen Mangel dabei erst so richtig deutlich.

Wenn sich jemand gar zu sehr für bildliche Assoziationen interessiert, sollte einen das stutzig machen. Dann befinden wir uns nämlich im Metier der Werbetreibenden, und die wollen nicht die Welt verbessern, sondern ein Image konstruieren und pflegen. Das Gendersternchen folgt der Werbelogik und seine Einführung sorgt für die Reklamisierung der Sprache. Kein Wunder also, dass Wirtschaftsunternehmen so schnell auf diesen Zug aufgesprungen sind.

Mehr hinter einer Bezahlschranke: www.welt.de.

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6 Kommentare
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Michael
1 Jahr zuvor

Denn was gehen mich die draußen an, dass ich sie sollte richten? Habt ihr nicht die zu richten, die drinnen sind? Die aber draußen sind, wird Gott richten. Verstoßt ihr den Bösen aus eurer Mitte! (1 Kor 5,12f) Beim Durchblättern dieses Blogs bekommt man den Eindruck, Theologie und Christentum bestünden zu großen Teilen aus Gendern und Trans-Themen. Woher kommt diese Fixierung? Und warum wird der Eindruck vermittelt, eine weithin atheistische Gesellschaft könnte oder sollte christliche Heiligung aufweisen, wenn sie doch gar nicht an Christus glauben? Und warum wird mit dem Finger des Gesetzes auf alle möglichen Nicht-Christen gezeigt? Dieser Blog vermittelt vor allem eins: Gesetz. Wo aber ist das Evangelium – der Botschaft Gottes, die Menschenherzen verändert? Wo ist die Liebe? Stattdessen überwiegend Beschwerden, dass die Gesellschaft nicht so ist, wie man sie gern hätte. Peinlich. Wenig einladend zum Glauben und zu Christus. Im Gegenteil: Es schadet. So bleibt der Eindruck, dass Christen gern mit dem Finger auf andere zeigen… Weiterlesen »

Alex aus Cloppenburg
1 Jahr zuvor

@ Michael:
Der Theoblog ist für mich als ausdrücklich nicht-evangelikalen Christen von großer Bedeutung, weil Ron genau solche Themen aufgreift, die evangelikale bzw. pentekostale Christen nun mal umtreiben. Die klassischen Themen der Volkskirchen interessieren mich persönlich hingegen gar nicht.
Ich teile die meisten der hier geäußerten Positionen nicht, aber der Blog hat einen intellektuellen Anspruch, was man von den meisten „frommen“ Angeboten im Netz nicht behaupten kann.
Was die Beiträge um LGBTQ+ angeht, ist es interessant zu beobachten, wie sehr das Thema die fromme Szene anfängt zu zersetzen. Was das Thema gerade bei gläubigen Männern auslöst, ist super spannend zu beobachten.

Udo
1 Jahr zuvor

@Michael: Natürlich kann man sich auch mit diesen Themen verkämpfen. Trotzdem sind sie wichtig. Es sind gesellschaftliche Themen, die die Freiheit bedrohen, in die Gemeinde hineinwirken, von Bibel und Bekenntnis abkoppeln und die Gemeinde zersetzen. Es sind „Stellvertreterthemen“, die sich im Grunde immer mit dem einen Satz in Gen 3 verbinden lassen „Hat Gott wirklich gesagt?“.
Nebenbei gemerkt: Es gibt auch genügend theologische Themen mit Anregungen und vertiefenden Referenzen zu anderen Webseiten und Quellen. Dazu muss man allerdings tiefer graben und nicht sein Urteil nach „Durchblättern“ bilden.

Helge Beck
1 Jahr zuvor

@Michael ich kann nur zustimmen

Confessor Reformatus
1 Jahr zuvor

@ Michael,
Ihren Eindruck kann ich überhaupt nicht teilen.
Ich bin sehr froh, dass es den Theoblog gibt, ja er ist eine der wenigen Leuchttürme.
Ich finde auch nicht, dass die Themen Gendern, „LGBTQ“ etc. hier zu viel Raum einnehmen.
Viele Theologisch Konservative schweigen nämlich inzwischen dazu (wenn Sie nicht schon inzwischen zu den Progressiven übergelaufen sind) – wahrscheinlich aus Angst vor Ausgrenzung/sozialer Ächtung.
Obwohl wir nicht von dieser Welt sind, leben wir noch in dieser Welt, und in der Welt werden wir nunmal in in den einschlägigen (Leit-)Medien ständig mit den o.g. Dingen konfrontiert.
Und Ron hat mit seiner Antwort Recht – das Thema ist längst in der Gemeinde angekommen.
(Und übrigens, da Sie 1. Kor 5,12f zitieren, wann haben Sie das letzte Mal jemanden aus der Gemeinde ausgeschlossen?)

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