Augustinus: Kaum wird Jesus um Jesu willen gesucht

Augustinus über das hedonistische Volkschristentum im antiken Rom (In evang. Ioh., 25,19): 

Wie viele suchen Jesus nur um irdischer Vorteile willen! Der eine hat eine Geschäftsangelegenheit – er sucht die Vermittlung des Klerus; ein anderer wird von einem Mächtigen bedrängt – er nimmt zur Kirche Zuflucht; wieder ein anderer will, dass man für ihn Vermittler spielt bei jemandem, wo man selbst nichts ausrichtet. Der eine so, der andere anders; täglich füllt sich die Kirche mit solchen ‚Christen‘. Kaum wird Jesus um Jesu willen gesucht.

Säkulare Gerechtigkeitsmodelle und die Kritische Theorie

Gerechtigkeit ist ein Wort, mit dem wir heute erschlagen werden. Leider ist nicht immer klar, was jemand mit Gerechtigkeit meint und wie wir ein Gerechtigkeitsverständnis aus biblisch-theologischer Sicht bewerten sollen. Tim Keller hat einen Versuch unternommen, etwas Licht in das Dunkel zu bringen:

Die Bibel geht also nicht vom Verschwinden jeder Macht aus. Autorität und Macht sind nicht per se falsch. Sie sind sogar in jeder Gesellschaft notwendig. Doch das Christentum kehrt das Herrschaftssystem auch nicht einfach um. Es besetzt nicht bloß die obersten Sprossen der Autoritätsleiter mit neuen Parteien, die Macht genauso unterdrückerisch ausüben, wie es in der Welt üblich ist.

Christlicher Glaube ist im Tod und in der Auferstehung Jesu verwurzelt. Deshalb beseitigt er das Gefüge von Herrschern und Beherrschten nicht oder kehrt es einfach um. Er untergräbt es! Weil Jesus uns rettet, indem er seine Macht allein dafür einsetzt, anderen zu dienen, verändert er unsere Einstellung zur Macht und unseren Umgang mit ihr.

Es gibt nichts auf der Welt, das mit biblischer Gerechtigkeit vergleichbar wäre! Christen dürfen ihr Erstgeburtsrecht nicht für einen Teller Suppe verkaufen. Vielmehr müssen sie ihr Erstgeburtsrecht annehmen und Gerechtigkeit üben, Barmherzigkeit lieben und demütig vor ihrem Gott wandeln (Mi 6,8).

Hier mehr: www.evangelium21.net.

 

„Ich bete für dich“

„Ich bete für dich.“ Ein Satz, der uns schnell über die Lippen kommt, wenn uns geliebte Menschen von ihrem Leid erzählen. Beten wir dann auch wirklich? Wie sollen wir für sie beten?

Anna Reindl stellt das wertvolle Buch I’m Praying for You von Nancy Guthrie vor:

Uns fehlen die Worte, wenn wir die Leiden und Nöte anderer in Gebete formulieren. Oft bitten wir einfach, dass Gott dieses Leid oder den Schmerz wegnimmt. Das ist nicht falsch. Doch die Bibel liefert uns ein breiteres Vokabular für Gebete, das uns an Gottes souveränes Handeln erinnert und zeigt, was er durch das Leid in unser aller Leben beabsichtigt. Davon ist Nancy Guthrie überzeugt und beschäftigt sich in ihrem Buch I‚m Praying for You – 40 Days of Praying the Bible for Someone Who Is Suffering mit dem Thema: Gebet für uns nahestehende Menschen, die leiden.

Leid ist ein Thema, das uns Menschen immer beschäftigt; im eigenen Leben, aber auch im Leben der Menschen um uns herum. Seit dem Sündenfall ist es Teil unserer Existenz und doch ist es ein Thema, dem wir am liebsten ausweichen. Es ist unangenehm, sich über Hilfsbedürftigkeit, Not und Sorgen zu unterhalten. Es wird totgeschwiegen, oft zumindest. Warum? Ich glaube, weil es weh tut, vom Leid zu hören. Und, weil man sich selbst verletzlich macht, wenn man anderen davon erzählt.

Nancy scheut diese Thematik nicht und das finde ich sehr gut. Mit dem Buch setzt sie einen Impuls, sich der Notleidenden aktiv anzunehmen und für sie zu beten. Und zwar nicht irgendwie, sondern mit der Bibel in der Hand. Was könnten wir Besseres tun, als mit diesen Nöten zu dem mächtigen und liebenden Gott zu kommen?

Mehr: www.evangelium21.net.

Glauben und Denken heute 1/2022

GuDh029Die Ausgabe Nr. 29 (1/2022) der Zeitschrift für Theologie und Gesellschaft Glauben und Denken heute ist erschienen. Wieder sind allerlei hilfreiche Beiträge enthalten. Einleitend fragt Tanja Bittner, wer heutzutage noch „aus Werken“ gerechtfertigt werden möchte, und zeigt, dass das hinter der „Werksgerechtigkeit“ stehende Prinzip nach wie vor aktuell ist. Johannes Lang untersucht die herausfordernde „Verstümmelungsanweisung“ in 5Mose 25,11–12. Franz Graf-Stuhlhofer setzt sich in einem ersten Beitrag mit den Entstehungs- und Veröffentlichungszeiten der synoptischen Evangelien und in einem zweiten mit dem Zusammenhang von Korruption und Konfession auseinander. Der aus Asien stammende Theologe Jackson Wu hat den Anlauf unternommen, eine kleine Theologie der Scham zu entwickeln. Daniel Facius fragt nach dem „abwesenden Gott“ angesichts von schwerem Leid. Frank Liesen stellt in seinem ausführlichen Beitrag die These auf, dass die Bethel Church Elemente eines New-Age-Synkretismus einverleibt hat und die Evangelikale Bewegung herausgefordert ist, darauf zu reagieren. In der Rubrik „Von den Vätern lernen“ zeichnet der niederländischen Theologe Herman Bavinck die Abkehr von christlichen Glauben unter den Gelehrten im ehemaligen Abendland nach.

Artikel

  • Editorial: Wer will denn heute noch „aus Werken“ gerechtfertigt werden? (Tanja Bittner)
  • Übersehen Theologen die Scham? (Jackson Wu)
  • Bethel Church: New-Age-Synkretismus und die Suche nach einer evangelikalen Antwort (Frank Liesen)
  • Warum die Hand? (Johannes Lang)
  • Zur Abkehr vom christlichen Glauben (Herman Bavinck)
  • Ein oder zwei Jahrzehnte zwischen Entstehung und Veröffentlichung der Evangelien (Franz Graf-Stuhlhofer)
  • Der abwesende Gott (Daniel Facius)
  • Korrelieren Konfession und Korruption? (Franz Graf-Stuhlhofer)

Rezensionen

  • Islay Burns: The Pastor of Kilsyth: The Life and Times of W.H. Burns (Daniel Vullriede)
  • Markus Heide, Fabian Mederacke (Hrsg.): Gotteswort im Menschenwort – Die Bibel lesen, verstehen und auslegen (Daniel Facius)
  • Richard Rice: The Future of Open Theism: From Antecedents to Opportunities (Luke Stannard)
  • Jens Kaldewey: Großer Himmel – kleine Hölle? (Tanja Bittner)

Buchhinweise

  • Collin Hansen, Jonathan Leeman: Gemeinde wiederentdecken (Tanja Bittner)
  • Eckhard Kuhla (Hrsg.): Die Gender-Fibel: Ein irres Konversationslexikon (Michael Freiburghaus)
  • Bernd Kollmann: Martin Luthers Bibel: Entstehung – Bedeutung – Wirkung (Ron Kubsch)
  • Josef Bordat: Würde, Freiheit, Selbstbestimmung (Claudia Sperlich) | Beilage: Das größte Geschenk (Bettina Klix)
  • Tom Holland: Herrschaft: Die Entstehung des Westens (Michael Freiburghaus)
  • Michael Allen u. Scott R. Swain: The Oxford Handbook of Reformed Theology (Ron Kubsch)

Die Ausgabe kann hier heruntergeladen werden: GuDh029.pdf.

Warum die Gendersprache scheitern wird

Gendern mit Gendersternchen oder Alternativen wird immer beliebter und auf den Kanälen des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks oft beworben. Und doch spaltet dieses Sprachpraxis spalten das Land. Aber wo kommt diese Idee sprachwissenschaftlich eigentlich her? Und wie sinnvoll ist sie? Wer den satirischen Kommentar von Alicia Jo noch nicht kennt, sollte sich ihn mal anschauen:

Nietzsche: Der Mensch als sein eigener Gesetzgeber

Nietzsche beschreibt hier – wie ich finde – den spätmodernen Menschen (also den Menschen nach dem „Tod Gottes“) ganz gut (Die fröhliche Wissenschaft, KSA, Bd. 3, 1999, § 335, S. 563):

Wir aber wollen die werden, die wir sind – die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden!

Geschlechter in Auflösung

Carl Trueman stellt in seinem Buch The Rise and Triumph of the Modern Self, das übrigens noch in diesem Jahr in deutscher Sprache erscheinen soll, die These auf, dass wir in einer Zeit leben, in der ein inneres Selbst, dass sich von äußerlichen Vorgaben – etwa durch den Leib – emanzipiert hat, darüber entscheidet, wer der Mensch ist. Der psychologische Mensch entdeckt nicht, wer er ist, er kann entscheiden, wer er ist.  Ihm werden durch Geschlechtermerkmale, Gene oder kulturelle Eigenheiten keine Grenzen mehr gesetzt. Ein Sprechakt genügt.

Ein FAZ-Beitrag vom 19. April 2022 illustriert passend, wie sich dieses psychologische Selbst im realen Leben „so schlägt“ und wohin die Reise geht.  Der Soziologe Stefan Hirschauer fragt in seinem Aufsatz „Geschlechter in Auflösung“, wie lange wir denn dieses innere wahre Geschlecht eigentlich noch brauchen. Kurz: Warum soll man Frauen und Männer, die man in fast allem Wesentlichen für gleich hält, ein Leben lang unterscheiden? Diese Mystifikation ist doch längst überholt.

Die Geschlechtszugehörigkeit war in Europa lange eine primär soziale Kategorie, eine Art Stand, der erst im neunzehnten Jahrhundert auf den Körper gegründet wurde. Diese Biologisierung wurde seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts schrittweise abgelöst von einer (heute hegemonialen) psychischen Essenzialisierung, die das Geschlecht wie eine Art religiöses Bekenntnis rahmt. Die vorgebliche Felsenhaftigkeit der geschlechtlichen Selbstverständnisse wuchs dabei in Konkurrenz zur ebenso unabweisbaren Faktizität des körperlichen Geschlechts. Geschlechtswechsler und Nicht-Binäre zogen sich vor der objektivierenden Geschlechtsbestimmungsautorität der Biologie in sich selbst zurück.

Offen ist, wie weit sich diese Subjektivierung treiben lässt. In der „taz“ äußerte sich 2016 ein Transmann, der nicht nur (wie die Abgeordnete Ganserer) auf Operationen und amtliche Umbenennung, sondern auch auf jede Darstellung des Mannseins verzichten wollte, dieses also allein aufgrund seines Selbsterlebens reklamierte. Einerseits gewönne die Geschlechterdifferenz so auf eine Weise Realität, die sich für vergleichbare Unterscheidungen wie die von „Rassen“ und Altersklassen bislang nicht durchsetzen ließ. Die Amerikanerin Rachel Dolezal scheiterte 2015 mit ihrem Anspruch auf eine „schwarze Seele“, der Niederländer Emile Ratelband 2018 damit, sich juristisch verjüngen zu lassen. Andererseits kann auch die geschlechtliche Selbstbestimmung in Sozialbeziehungen nicht ohne Weiteres als Anspruch darauf funktionieren, von anderen auch als Exemplar des Wunschgeschlechts erlebt zu werden. Geschlechtsgeltung lässt sich nicht erzwingen – etwa durch Verbote von sogenannten „Deadnames“ –, sie kann andere (mindestens temporär) überfordern, etwa Familienmitglieder, die der verlassenen Geschlechtszugehörigkeit einer Tochter, eines Bruders oder Ehemanns als Teil einer Geschlechterbeziehung angehörten. It takes two to gender.

Vermutlich ist die „Geschlechtsidentität“ die letzte Bastion des Glaubens an ein wahres Geschlecht. Ihr liegt die Vorstellung eines einzigen, eigentlichen, in den Tiefen der Psyche verborgenen Geschlechts zugrunde. Mit dieser Mystifikation wurde der skrupulösen Selbstbeforschung vereinzelter Subjekte die Sinnstiftung für eine Klassifikation aufgebürdet, die so fragwürdig geworden ist wie die von „Rassen“. Für die gesellschaftliche Mehrheit dagegen ist die Zweigeschlechtlichkeit in dem Maße, dass das körperliche Geschlecht keine sozialen Folgen mehr hat, keine große Einschränkung mehr.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

Ukraine: Das Geschäft mit der Leihmutterschaft

Die Ukraine gehört zu den günstigen Anbietern für Leihmutterschaften. Biotexcom ist nach eigenen Angaben die größte Leihmutteragentur des Landes. Hunderte von Frauen bringen in den hauseigenen Spitälern Kinder zur Welt, mit denen sie genetisch nicht verwandt sind. Deren biologische Eltern, die sogenannten Kunden, bezahlen dafür viel Geld. All-inclusive-Pakete kosten bei Biotexcom zwischen 40 000 und 60 000 Euro. 

Der Krieg stellt Agenturen und Eltern nun vor ungeahnte Herausforderungen und bringt dunkle Seiten der Leihmutterschaft ans Licht, wie die NZZ in einem Beitrag berichtet. Warum das Business mit „Leihmüttern“ so boomt, wird eindrücklich geschildert:  

Laut Veronika Siegl gibt es mehrere Gründe für den schnellen Erfolg von Biotexcom. Sie nennt zum einen die rechtliche Lage: Die Ukraine hat eines der liberalsten Leihmutterschaftsgesetze der Welt. Nach dem Familiengesetzbuch ist die Leihmutter explizit nicht die Mutter des von ihr ausgetragenen Kindes, als Eltern gelten die Zellspender des Embryos. Das macht behördliche Vorgänge wesentlich unkomplizierter als in anderen Ländern.

Zwar gibt es einige Vorschriften, die die Eltern betreffen. So kommen als Kunden nur heterosexuelle, verheiratete Paare infrage, die nachweisen müssen, dass sie auf natürlichem Weg kein Kind zeugen können. Doch wie Siegl in ihrer Forschung feststellte, werden diese Vorschriften kaum kontrolliert. «Da werden in den Kliniken einige Augen zugedrückt», sagt sie.

Ein weiterer Grund für den Erfolg, so Siegl, sei sicherlich die geografische Nähe zu den europäischen Kunden sowie die Möglichkeit zur visafreien Einreise. Dass die Ukraine von vielen als «europäisch» und wirtschaftlich entwickelt wahrgenommen werde, helfe zudem, moralische Bedenken zu beseitigen. Aber auch ökonomische Faktoren seien ausschlaggebend, vor allem die offensive Werbestrategie der Agenturen und unvergleichlich tiefe Preise.

Mehr: www.nzz.ch.

Christliche Kunst mit ästhetischer Integrität

Der große Roger Scruton setzt sich in seiner Ästhetik mit der Frage auseinander, wie Propaganda von Kunstwerken mit einer integralen Botschaft unterschieden werden kann und erwähnt in diesem Zusammenhang John Bunyans Pilgerreise. Bunyan habe es seiner Meinung nach geschafft, eine starke moralische Botschaft in glaubwürdiger Weise zu vermitteln. Bei der Pilgereise passt die Form zum Inhalt.

Er schreibt (Schönheit: Eine Ästethik, München: Diederichs, 2012, S. 171):

Propagandawerke, wie die des sozialistischen Realismus in der Bildhauerei der Sowjetunion oder (das literarische Äquivalent) Michail Scholochows Der stille Don, opfern ihre ästhetische Integrität der politischen Korrektheit, aus Charakteren werden Karikaturen und die Dramatik zur Predigt. Was uns an diesen Werken stört, ist ihre Unaufrichtigkeit. Die Botschaften, die man uns hier aufdrängt, entspringen weder aus der immanenten Logik der Erzählung, noch kommen sie in den übertriebenen Darstellungen der Figuren und Charaktere zum Ausdruck; die Propaganda ist kein Element der ästhetischen Bedeutung, sie bleibt äußerlich – ein Eindringen des Alltags, der nur an Glaubwürdigkeit einbüßen kann, wenn man ihn aufdringlich unter die ästhetische Kontemplation mischt.

Auf der anderen Seite gibt es Kunstwerke, die eine starke moralische Botschaft vermitteln, aber dabei einen konsistenten ästhetischen Rahmen behalten. Man denke hier an John Bunyans The Pilgrim’s Progress. Die Verteidigung des Lebens im Einklang mit dem Christentum ist hier mit schematischen Charakteren und klaren Allegorien verwoben. Aber das Buch ist mit einer so intensiven Unmittelbarkeit, mit einer Aufrichtigkeit der Empfindung und einem Gefühl für das Gewicht der Worte geschrieben, dass die christliche Botschaft zu einem integralen Bestandteil wird, die durch überzeugende Worte ihre Schönheit erhält. Bei Bunyan finden wir die Einheit von Form und Inhalt, die es verbietet, das Werk als schiere Propaganda abzutun.

Gleichzeitig kann man, auch wenn man das Buch für seine Wahrhaftigkeit bewundert, die zugrunde hegenden Glaubensideen nicht akzeptieren. Bunyan führt die gelebte Realität einer christlichen Lehrzeit vor Augen, und als Atheist, Jude oder Moslem kann man die Wahrheit dieser Geschichte entdecken – Wahrhaftigkeit gegenüber der menschlichen Existenz und gegenüber einem Menschen, der im Chaos seines Lebens den Blick der Hoffnung auf eine bessere Welt erlebt hat. Auch wirkt Bunyans Moralisieren nicht aufdringlich, es entsteht aus Erfahrungen, über die aufrichtig berichtet wird und zu denen sich das Buch in sehr lebendiger Weise bekennt. 

Der Satz: „Gleichzeitig kann man, auch wenn man das Buch für seine Wahrhaftigkeit bewundert, die zugrunde hegenden Glaubensideen nicht akzeptieren“ ist meines Erachtens in dem Sinne zu verstehen: „Man kann, auch wenn man das Buch für seine Wahrhaftigkeit bewundert, die zugrundeliegenden Glaubensideen verneinen.“ Der Leser wird folglich nicht manipuliert, sondern kann das Buch auch dann glaubwürdig und anziehend finden, wenn er die enthaltenen Glaubensbotschaften ablehnt. In der englischen Ausgabe lautet der Satz: „At the same time, even while admiring Pilgrim’s Progress for its truthfulness, we may reject its underlying beliefs“ (Beauty, Oxford: Oxford University Press, 2009, S. 131).

Ich wünsche mir von Christen mehr künsterlische Werke mit dieser ästhetischen Integrität. 

Das Schleierkapitel

Prof. Alexander Weiss hat kürzlich (unfreiwillig) über einen Bibeltext gepredigt, der seit Jahrhunderten Diskussionen auslöst. Es geht um das so genannte Schleierkapitel in 1. Korinther 11,2–16. Es sind so manche Dissertationen zu diesem Text geschrieben worden und doch bleiben viele Fragen offen. Die Auslegung von Alexander ist sehr hilfreich; er plädiert (mit dem scharfen Blick eines Althistorikers) für die Unterscheidung zwischen Prinzip und Anwendung und begründet das auch (vgl. den Kommentar von E.J. Schnabel, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, 2018, S. 594ff.). Der stets fleißige Hanniel hat übrigens wichtige Punkte zusammengefasst.

Hier:

Objektophilie

Der semantische Gehalt von „Ehe für alle“ wird wohl irgendwann erweitert werden müssen. Funk, das Jugendformat des Öffentlich rechtlichen Rundfunks, eröffnet uns Einblicke in das Seelenleben von Sarah, die sich in eine Boeing 737 verliebt hat. Jetzt, nach ihrem Coming-Out, kann sie endlich der Mensch sein, der sie wirklich ist. Sie hat, so würde Carl Trueman, Autor von The Rise and Triumph of the modern Self, wohl sagen, ihr wahres Ich gefunden. Das ist in einer Zeit, in dem das therapeutischen Selbst Hochkonjunktur feiert, eben einfach so. Gut und wahr ist das, was sich für mich gut anfühlt. Das ist eine der Pathologien unserer Zeit. Eine Gesellschaft, die nicht mehr zwischen Subjekt und Objekt unterscheidet, steuert auf Abgründe zu.

Mensch und freier Wille bei Luther und Erasmus

Wo liegen die Unterschiede im Menschenbild und in der Gnadenlehre zwischen Melanchthon und Luther? Peter Heinrich hat die Zugänge der beiden Theologen miteinander verglichen. Ich stelle das Buch bei E21 vor. Es heißt in der Rezension zur Sichtweise von Erasmus:

Erasmus behauptet keine Autonomie der Willensfreiheit. Vielmehr schreibt er dem freien Vermögen fast nichts und der Gnade sehr viel zu. Für Erasmus kann der Mensch ohne eine „außerordentliche Gnade“ das Gute nicht wollen (vgl. S. 21). Und doch können göttliche Gnade und menschlicher Wille miteinander kooperieren. Die Gnade ist Erstursache, der menschliche Wille die von dieser abhängige Zweitursache. „Die Fähigkeit, in cooperatio mit der göttlichen Gnade zu treten, ist ja selbst ein Geschenk Gottes, aber dann liegt es – nach erasmischer Ansicht – auch beim Menschen, das Herz von der angebotenen Gnade abzuwenden, oder sich im menschlichen Streben mit der göttlichen Gnade zu verbinden, damit der Mensch über die Stufen der Tugend zur Vollendung gelange“ (S. 23). Dem Humanisten liegt viel daran, den Menschen als ethisch verantwortliches Geschöpf zu zeichnen: „Wenn aber der Mensch nichts tut, gibt es für Verdienst und Schuld keinen Platz. Wo es für Verdienst und Schuld keinen Platz gibt, dort ist auch kein Platz für Strafen und Belohnungen. Wenn der Mensch alles tut, gibt es keinen Platz für die Gnade …“ (De libero arbitrio, IIIa, 17 vgl. S. 24). Schließlich wäre für Erasmus die Frage der Theodizee unlösbar, wenn die Freiheit des Willens beseitigt würde (vgl. S. 25).

Mehr: www.evangelium21.net.

Stimmungskiller „Social Media“

Gavin Ortlund erteilt Tipps zum Umgang mit den Sozialen Medien. Ein Auszug: 

Ein regelmäßiger Verzicht ist hilfreich für einen gesunden Umgang mit den sozialen Medien. Zusätzlich zu Pausen am Sonntag, in denen du dich ganz von den sozialen Medien fernhältst, könntest du auch über Folgendes nachdenken:

  • Lösche die App auf deinem Handy und nutze sie nur auf deinem Computer. Entweder immer oder nur für bestimmte Zeiten wie Wochenenden oder Familientage.
  • Lege bestimmte Orte in deiner Wohnung fest, an die du nie deine Geräte mitnimmst (z.B. dein Arbeitszimmer).
  • Verwende die Funktion „Do not disturb/Bitte nicht stören” als Standardeinstellung, damit du nicht ständig von den Geräten belästigt wirst – ständige Ablenkung ist nicht gesund für uns.

Eine weitere hilfreiche Maßnahme ist es, Menschen, die dich ständig runterziehen, stummzuschalten oder ihnen nicht zu folgen. Trau dich. Du bist nicht verpflichtet, jemandem zu folgen oder auf Kommentare einzugehen, wenn dies für deine Seele schädlich ist. Wenn ich beim Scrollen mit Neid oder Einsamkeit zu kämpfen habe, weiß ich, dass es wahrscheinlich an der Zeit ist, sich für eine Weile aus den sozialen Medien zurückzuziehen.

Wenn du dich außerdem mehr mit Menschen online auseinandersetzt als im echten Leben, dann ist es an der Zeit, die beiden auszubalancieren. Soziale Medien sollten die Interaktion von Angesicht zu Angesicht ergänzen, nicht kompensieren. Eine offensichtliche Herausforderung in einer globalen Pandemie!

Mehr: www.evangelium21.net.

Die Generation „Woke“

Die französische Filmemacherin und Journalistin Caroline Fourest schreibt in ihrem Buch Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei – über den wachsenden Einfluss linker Identitäter (Berlin: Verlag Klaus Bittermann, 2020, S. 8–9):

An der Universität regiert der Essens- und sogar der Gedankenterror. Man nimmt Anstoß am geringsten Widerspruch, der als „Mikroaggression“ wahrgenommen wird, was so weit geht, dass man „Safe spaces“ fordert: sichere Räume, in denen die Leute unter sich bleiben und lernen, dem Anderssein und der Debatte zu entfliehen. Selbst das Rederecht wird einer Genehmigungspflicht unterworfen, je nach Geschlecht und Hautfarbe. Eine Einschüchterung, die bis zur Entlassung von Professoren geht.

Frankreich hält sich noch ziemlich gut. Doch gehen auch in diesem Land bereits Gruppen von Studenten gegen Ausstellungen und Theaterstücke vor, um deren Aufführung zu unterbinden oder einen Redner, der ihnen missfallt, am Reden zu hindern. Manchmal zerreißen sie auch seine Bücher: Autodafés, die an das Schlimmste erinnern.

Diese Kulturpolizei geht von keinem autoritären Staat aus, sondern von der Gesellschaft und insbesondere von einer Jugend, die „aufgeweckt“ sein will, weil ultraempfindlich gegen jedwede Ungerechtigkeit. Was großartig wäre, wenn sie dabei nicht auf Unterstellungen und inquisitorische Methoden verfiele. Die Millenials gehören weithin einer identitären Linken an, die den wesentlichen Teil der antirassistischen Bewegungen und der LGBTI-Szene beherrscht und sogar den Feminismus spaltet. Ohne einen Aufschrei wird ihr kultureller Sieg vollständig sein. Der Einfluss ihrer Netzwerke auf Gewerkschaften, Fakultäten und politische Parteien wird größer, und sie gewinnen die Oberhand über die Welt der Kultur. Ihre Kabale lasten immer schwerer auf unserem geistigen und künstlerischen Leben. Selten bringt jemand den Mut auf, ihnen zu widersprechen. Obschon wir in einer ungemein paradoxen Welt leben, in der die Freiheit zu hassen nie so zügellos war wie in den sozialen Netzwerken, wurde allerdings das Reden und Denken im wirklichen Leben nie so sehr überwacht. Einerseits blüht, dank Nachgiebigkeit und Deregulierung, das Geschäft mit der Aufstachelung zum Hass, zur Lüge und zur Desinformation wie noch nie, geschützt im Namen der Redefreiheit. Andererseits genügt es, dass eine kleine Gruppe von Inquisitoren sich für „beleidigt“ erklärt, um Entschuldigungen eines Stars oder die Zurücknahme einer Zeichnung, eines Produkts oder eines Theaterstücks zu erwirken. Diese Streitigkeiten markieren den wirklichen Bruch sowohl inmitten des Antirassismus als auch zwischen den Generationen.

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