Augustinus

Seminartage: Was vermag der Mensch?

In den letzten Jahren sind allerlei Publikationen erschienen, die das freie Vermögen des Menschen gegenüber der kirchlichen und insbesondere reformatorischen Lehre aufwerten (vgl. Ali Bonner, The Myth of Pelagianism, 2018; Kenneth M. Wilson, Augustine’s Conversion from Traditional Free Choice to »Non-free Free Will«, 2018; G. Goletiani, Der gnostische Einfluss in der Reformation, 2021, vgl. a. David Hunt, Eine Frage der Liebe, 2011 u. gemäßigter John Lennox, Vorherbestimmt?, 2019).

Kenneth Wilson hat sich sogar zu der Aussage hinreißen lassen, der Gott, an den Augustinus, Luther oder Calvin geglaubt haben, sei ein heidnischer Gott, der die Menschen hypnotisiere und manipuliere (siehe Kenneth M. Wilson, War Augustin der erste Calvinist?, 2020, S. 150; vgl. dazu „Hat Augustinus die abendländische ‚Ursünde‘ erfunden?“).

Der Einfluss dieser Schriften ist so groß, dass inzwischen von den Kanzeln mancher Gemeinden verkündet wird, Luther und Calvin seien durch die Lektüre von Augustinus unter den Einfluss des Manichäismus geraten und verkündeten nicht das Evangelium, welches uns in der Bibel offenbart ist, sondern den gnostischen Determinismus des Persischen Religionsgründers Mani (lat. Manes oder Manichaeus, 216–276/277 n.Chr.).

Das Institut für Reformatorische Theologie wird vom 29. Oktober bis zum 1. November 2021 im Evangelischen Allianzhaus in Bad Blankenburg Seminartage rund um dieses Thema veranstalten. Das Institut teilt mit:

Thema dieses Seminars ist die alte und stets aktuelle Frage, was der Mensch vor Gott tun kann. Daß Evangelikale und Katholiken in dieser Frage näher beieinander stehen, zeigt die neuerliche Veröffentlichung von Ken Wilson. „War Augustin der erste Calvinist?“, zu dem kein Geringerer als Dr. Roger Liebi ein lobendes Vorwort geschrieben hat.

Die Reformatoren hielten die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen für das entscheidende Thema der Reformation, wie Luther in seiner Schrift „Vom unfreien Willen“ (1525) gegen den Humanisten Erasmus von Rotterdam betont.

Wer immer eine Antwort haben möchte auf die Frage, was der Mensch bei Gott vermag, ist herzlich zur Teilnahme eingeladen.

Aus dem Programm:

  • Der Streit über die Willensfreiheit zwischen Luther und Erasmus (Bernhard Kaiser)
  • Römer 9,6–13: Gottes freie Wahl (Ron Kubsch)
  • Eine Theologie des freien Willens? oder: Was lehrte Pelagius? (Ron Kubsch)
  • Eine Theologie des durch Gnade befreiten Willens (Ron Kubsch)
  • Allgemeine Heilsverheißungen und die Erwählung (Bernhard Kaiser)
  • Der Mythos von der freien Selbstbestimmung des Menschen (Bernhard Kaiser)
  • Römer 8,35–39: Die Gewissheit der Liebe Gottes (Bernhard Kaiser)

Das vollständige Programm mit einer Möglichkeit zur Anmeldung kann hier heruntergeladen werden: FaltblattSeminarOkt21.pdf.

Augustinus: Niemand sagt: „Herr ist Jesus“ außer im Heiligen Geist

Augustinus über den Heiligen Geist (lo. eu. tr. 74,2; CCL 36,513):

„Niemand sagt: Herr ist Jesus“ (1Kor 12,3) im Geist, im Wort, in der Tat, im Herzen, im Mund, im Werk, „niemand sagt: Herr ist Jesus außer im Heiligen Geist„ (1Kor 12,3), und niemand spricht so, außer er liebt. So sagten die Apostel schon: „Herr ist Jesus“, und wenn sie es in der Weise sagten, daß sie es nicht heuchelten, indem sie es mit dem Mund bekannten, im Herzen jedoch und in ihren Taten leugneten, wenn sie es also durchaus wahrhaftig sagten, dann liebten sie zweifelsohne. Wie also liebten sie außer im Heiligen Geist? Und doch wurden sie vorher schon geheißen, ihn zu lieben und seine Gebote zu halten, um den Heiligen Geist zu empfangen, ohne den sie in der Tat nicht lieben und die Gebote halten könnten. Es bleibt also nichts anderes übrig, als daß wir begreifen, daß der den Heiligen Geist hat, welcher liebt, und dadurch, daß er ihn hat, verdient, ihn noch mehr zu haben, und dadurch daß er ihn mehr hat, mehr liebt.

Augustinus: Stell dich auf die Menschen ein

Aurelius Augustinus schreibt über „Taufgespräche“ (Vom ersten katechetischen Unterricht, 1985, S. 31–32):

Nachdrücklich muß ich dich aber auf folgende Tatsache hinweisen: Wenn ein in den freien Wissenschaften Gebildeter in deinen Einführungsunterricht kommt, der sich schon fest entschlossen hat, Christ zu werden, der also nur noch kommt, um diesen Schritt zu vollziehen, wird er mit größter Sicherheit große Teile unserer biblischen Bücher und unseres kirchlichen Schrifttums bereits kennen, und – ausgerüstet mit diesen Kenntnissen – nur gerade erscheinen, um an den Aufnahmezeremonien teilzunehmen. Leute dieser Art pflegen nämlich nicht erst in der Stunde, in der sie Christen werden, sondern schon vorher alle Fragen sorgsam zu prüfen und ihre innern Beweggründe mit möglichst vielen Gesprächspartnern gemeinsam zu erörtern. Bei ihnen sollte man sich also kurz fassen, ihnen nicht pedantisch eintrichtern wollen, was sie bereits wissen, sondern dies nur behutsam streifen, etwa mit den Worten, daß sie das und das vermutlich schon wissen. Auf diese Weise zählen wir im Vorbeigehen alles auf, was wir den Ungeschulten und Ungebildeten mühsam einprägen müssen. So bekommt jener Gebildete nicht im Schulmeisterton zu hören, was er bereits weiß; falls er aber etwas noch nicht kennt, kann er es zur Kenntnis nehmen, während wir es ihm als sicher bekannt kurz erwähnen. Gewiß ist es nicht unnütz, auch ihn nach den Beweggründen zu fragen, die in ihm den Willen aufkommen ließen, Christ zu sein. Wenn du den Eindruck gewinnst, daß er von den kanonischen Büchern oder auch von Werken empfehlenswerter kirchlicher Autoren dazu veranlaßt wurde, sprich zuerst kurz von diesen Büchern, lobe sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Vorzüge, einerseits wegen ihrer kanonischen Autorität, andererseits wegen des Scharfsinns und der Sorgfalt ihrer Verfasser. Bei den kanonischen Schriften weise besonders darauf hin, wie hier ein Inhalt von bewundernswerter Tiefe in einen bescheidenen Stil eingekleidet ist, der aber für das Heil sehr förderlich ist; bei jenen anderen Schriften lege das Hauptaugenmerk auf den wohlklingenden, gleichsam gedrechselten Sprachstil, der sich – je nach Fähigkeit des einzelnen Schriftstellers – besonders für Personen eignet, die stolz auf ihre Bildung sind und gerade deswegen dafür eine Schwäche haben.

Glaubt nicht so an die Kirche wie an Gott

Heinrich Bullinger (Schriften, Bd. III , 2006, S. 185):

Der heilige Augustin sagt in seiner Schrift über den Glauben und das Glaubensbekenntnis Folgendes: „Ich glaube, dass es eine heilige Kirche gibt.“ Er sagt nicht: „Ich glaube an die heilige Kirche.“ Außerdem werden seine Worte an die Neubekehrten im ‚Dekret‘, Teil ‚Über die Weihung‘, Distinktion 4, Kapitel „In der ersten“, so angegeben: „Ich habe nicht gesagt, dass ihr an die Kirche wie an Gott glauben sollt, vielmehr sollt ihr einsehen, dass ich gesagt habe, ihr sollt in der heiligen allgemeinen Kirche wandeln und dabei an Gott glauben.“

Hat Augustinus die abendländische „Ursünde“ erfunden?

Wilson AugustinusMit Interesse habe ich das Buch War Augustin der erste Calvinist? gelesen. Autor ist der Nordamerikaner Ken Wilson. Arzt von Beruf, begeistert er sich gleichermaßen für theologische Fragen und studierte deshalb obendrein Theologie. Im Jahr 2012 wurde er von der Theologischen Fakultät Oxford (England) mit der Untersuchung Augustines Conversion from Traditional Free Choice to „Non-free Free Will“, A Comprehensive Methodology promoviert. Inzwischen lehrt Wilson als Professor für Kirchengeschichte und Systematische Theologie an der Grace School of Theology in The Woodlands (Texas, USA).

Die Grace School of Theology hat in ihrer theologischen Erklärung ausdrücklich den Passus aufgenommen, dass „der anfängliche Glaube, der zur Rechtfertigung und Erneuerung führt“, „kein Geschenk Gottes“ ist. Der Mensch kann nach Wilson aus eigenem Vermögen glauben. In dieser theologischen Schule stehend, bemüht er sich beharrlich darum, die Freiheit des Menschen zu schützen. Seine besondere Wertschätzung für die griechischen Kirchenväter überrascht daher nicht. Mehrfach würdigt er Origenes (185–ca. 254 n. Chr.), der wie manch anderer klar erkannt habe, dass Glaube menschlich sei: „Der erste Glaube kommt vom Menschen, er ist nicht göttliche Gabe. ‚Die Apostel, nachdem sie einmal verstanden haben, dass der Glaube, der nur vom Menschen kommt, nicht vollendet werden kann, es sei denn, dass das, was von Gott kommt, hinzugefügt wird, sagen zu ihrem Erlöser: ‚Mehre unseren Glauben!‘ (Com. Rom. 4.5.3)“ (S. 54).

Das Buch bietet dementsprechend allen, die noch immer Glaube als Geschenk verstehen, eine Ausfahrt an: „Es gibt Alternativen. Alle anderen Hauptzweige der Christenheit – der römische Katholizismus, die östliche Orthodoxie und alle nicht-calvinistischen Protestanten [wirklich?] – halten sich an die Perspektive der Willensfreiheit, so wie sie in den ersten vierhundert Jahren der Christenheit einstimmig und einmütig vertreten wurde“ (S. 148). Deshalb der abschließende Appell: „Folgen Sie bitte nicht einem heidnischen Gott, der Sie erst hypnotisiert und dann Ihren Geist manipuliert, sondern schließen Sie sich stattdessen dem liebenden Gott der Christen an, der Sie einlädt, eine freie Wahl zu treffen“ (S. 150).

Falls jemand mit Epheser 2,8–9 dagegenhält, wo Paulus davon spricht, dass die Errettung durch Glauben eine Gabe Gottes ist, steht er nach Wilson unter dem Einfluss des gnostischen Manichäismus. Der manichäische Priester Fortunatus habe diesen Text in dem Sinn verstanden, dass der Glaube ein göttliches Geschenk sei. Das aber könne so nicht sein, da ja dann die Antwort des Menschen auf den göttlichen Ruf etwas wäre, was Gott selbst schenkt. Die Errettung, nicht der Glaube, ist für Wilson Gottes Geschenk. „Sie geschah aus der Gnade Gottes durch den Glauben der Menschen (vgl. Eph 2,8)“ (S. 62).

Wie aber fand der Gnostizismus Eingang in die abendländische Theologie? Für Wilson liegt es auf der Hand. Der Kirchenvater Aurelius Augustinus (354–430 n. Chr.) habe die christliche Theologie mit heidnischen Glaubensvorstellungen korrumpiert und auf diese Weise der gesamten westliche Theologie eine verhängnisvolle Ausrichtung gegeben. Die reformatorische Theologie, die bekanntlich in weiten Teilen Augustinus für sich in Anspruch nimmt, sei diesem groben Missverständnis besonders drakonisch auf den Leim gegangen.

Die Fragen, die Ken Wilson diskutiert, sind keine einfachen. Ich habe viel Verständnis dafür, dass sie gestellt werden. Vielleicht kann ich in den nächsten Monaten eine ausführliche Besprechung des Buches ausfertigen und der Grundthese, dass nämlich der „augustinische Calvinismus“ ein Synkretismus aus Stoizismus, Neuplatonismus und Manichäismus sei, genauer nachgehen. Dafür ist allerdings viel zu lesen und es braucht Zeit. 

Eine Behauptung Wilsons möchte ich freilich schon jetzt hinterfragen. Er behauptet wiederholt, dass sich die Kirchenväter bei den Themen rund um Erbsünde, Vorsehung und Vorherbestimmung sowie Willensfreiheit weitgehend einig waren. Erst mit Augustinus (354–430 n. Chr.) seien heidnischen Ideen von Erbsünde, Determinismus und dem unfreien Willen in die christliche Theologie eingedrungen. Das klingt dann etwa so (S. 62):

In einer scheinbar seltenen theologischen Einstimmigkeit, über Hunderte von Jahren hinweg und durch den gesamten Mittelmeerraum hindurch, herrschte eine christliche regula fidei der Willensfreiheit. Origenes plädierte dafür, diese nicht als eine Regel des Glaubens zu betrachten, sondern als die Regel des Glaubens schlechthin.

Ich wähle noch ein weiteres Zitat (S. 138–139): 

Augustins einzigartige und völlig überzogene Reaktion auf den Pelagianismus setzte erst im Jahre 412 n. Chr. ein und ließ ihn in ein Fahrtwasser geraten, das dem Christentum bis dahin unbekannt gewesen war. Er fügte die verdammenswerte Schuld zur Erbsünde hinzu und verlangte, dass eine radikale manichäische Gnade die tote Seele mittels göttlich eingeflößtem Glauben zum Leben erwecken müsse. Nicht ein einziger Autor vor Augustin hatte gelehrt, dass die Menschen bereits in einem verdammten Zustand geboren wurden und es deshalb nötig war, dass Gott zuerst die gefallene Natur einer Person verändern und mittels Glauben und Gnade erneuern müsse, bevor dieses Individuum in der Lage war, auf Gott zu reagieren. Alle vorherigen Autoren hatten gelehrt, dass Gott allen hilflosen Menschen in der Person Christi bereits ausreichend Gnade zur Verfügung gestellt hatte. Die Menschen mussten nur Gottes Geschenk der Errettung in Christus annehmen, und dies konnten sie mit Hilfe ihres eigenen ihnen verbliebenen Anteils an gottgegebener Gottesebenbildlichkeit, der Willensfreiheit.

Obwohl ich infrage stelle, dass die Einigkeit unter den Kirchenvätern in diesen Dingen so überwältigend war, wie Wilson das vorgibt (siehe dazu weiter unten), bin ich von der Einsicht, dass die Alte Kirche darum bemüht war, die natürliche Freiheit des Menschen zu verteidigen, nicht sonderlich überrascht. Die Alte Kirche hatte anderes im Blick als der späte Augustinus in seinem Konflikt mit Pelagius (ca. 350–418 n. Chr.). Otto Hermann Pesch, ein großer Kenner der Gnadentheologie, schreibt in der Theologischen Realenzyklopädie

Die Schriften der griechischen Kirchenväter sind zur Frage der Willensfreiheit nicht ergiebig, was neue Gesichtspunkte angeht. Der einfache Grund: Die Theologen verarbeiten das paulinische Erbe nicht, weil sie andere Probleme haben und in anderen Auseinandersetzungen stehen. … Wenn dennoch die Willensfreiheit einmal thematisiert, gar als wichtiges Problem wahrgenommen wird (s. o. I.1.1.), so sind die Gegner nicht eine Lehre von der Vorherbestimmung auf der Linie des Paulus, sondern gnostische und manichäische Lehren, die das Böse nicht auf die Wahlentscheidungen des Menschen, sondern auf ein widergöttliches böses Prinzip zurückführen.

Lassen wir noch einen großen reformierten Theologen zu Wort kommen. Bei Herman Bavinck ist nachzulesen: 

In der frühen Kirche, zu einer Zeit, als sie mit heidnischem Fatalismus und gnostischem Naturalismus zu kämpfen hatte, konzentrierten sich ihre Vertreter ausschließlich auf die moralische Natur, Freiheit und Verantwortung des Menschen und konnten daher der Lehre der Schrift über den Ratschluss Gottes nicht gerecht werden. Obwohl die Menschen mehr oder weniger durch die Sünde korrumpiert worden waren, blieben sie frei und konnten die angebotene Gnade Gottes annehmen. Die Lehre der Kirche enthielt keine Lehre von umfassender Prädestination und unwiderstehlicher Gnade. Der Ratschluss Gottes bestand in Vorauswissen und der Festlegung von Belohnung oder Strafe, die von diesem Vorauswissen abhing. Gott überlässt diejenigen, von denen er im Voraus weiß, dass sie nicht glauben werden, ihrem Unglauben und wählt diejenigen aus, deren Verdienste er vorhergesehen hat. Im Wesentlichen ist dies die Position der orthodoxen Kirche geblieben. Die Menschheit ist durch die Sünde geschwächt und sterblich geworden. Dennoch kann der Mensch immer noch das natürlich Gute wählen und die im Evangelium angebotene Gnade annehmen oder ablehnen (vorauslaufende Gnade). Wenn Menschen sie annehmen, werden sie von dieser Gnade unterstützt (kooperative Gnade) und müssen bis zum Ende durchhalten, denn sie können immer noch abfallen. Diejenigen, die diese Gnade annehmen und ausharren, sind für die Erlösung vorhergesehen und vorherbestimmt. Die anderen – auch wenn Gott durch einen vorausgegangenen Willen die Errettung aller will – sind in ihrem gefallenen Zustand belassen und zum Verderben vorherbestimmt.

Einer der letzten bedeutenden reformierten Theologen, der in Deutschland gewirkt hat, sah sehr klar, dass die patristischen Quellen trübe sind. Er behauptet im Grunde das Gegenteil von dem, wofür Ken Wilson steht. Nicht Augustinus habe die paganen Einflüsse in die Theologie hineingetragen. Umgekehrt habe er (unvollkommen) dazu beigetragen, die Theologie von den schon vorliegenden paganen Beeinflussungen zu befreien. Adolph Zahn (1834–1900) schrieb: 

Im großen und ganzen ist die Theologie der Kirchenväter ein mit christlichen Fetzen geschmücktes Heidentum, aus dem sich durch Gottes Providenz dennoch die vielen großen Wahrheiten Augustins von Prädestination, Sünde und Gnade und die logisch wahren Bestimmungen über die beiden Naturen in Christus herausgerettet haben: brauchbare Grundsäulen für die Zukunft.

Noch etwas: Augustinus ist schon zu seinen Lebzeiten mit den Vorwürfen konfrontiert worden, die Ken Wilson vorträgt. Dem afrikanischen Bischof wurde vorgehalten, dass seine Sichtweise den Lehren der Väter widerspreche. Augustinus reagierte gescheit darauf. Er zeigte nämlich zunächst, dass sich die Väter hinten anzustellen haben, da es vor allem auf das ankommt, was in der Heiligen Schrift steht. Gleichwohl hat er sich dann die Mühe gemacht, akribisch Väterzitate zusammenzustellen, die die seiner Meinung nach biblische Auffassung stützen. Sicher, er hat sich dabei durchaus hin und wieder vertan. Er war eben ein Mensch. Wie sorgfältig er jedoch aufs Ganze gesehen gearbeitet hat, wird m. E. aus dem folgenden Zitat des Kirchenhistorikers Michael Fiedrowicz ersichtlich:

Hatte Augustinus bislang also primär die Väterzeugnisse seiner Gegner zu widerlegen versucht, ohne das patristische Argument selber voll zu entfalten, so fand dieses nun auch bei ihm reiche Anwendung in der Kontroverse mit Julian von Eclanum, der nicht nur Vernunftargumente und Schriftbeweise, sondern insbesondere die griechische Vätertradition gegen Augustinus (c. Jul. 1,29) ins Feld zu führen suchte. Prägnant fasste Augustinus (c. ep. Pel. 4,20) die Intention seines eigenen Väterbeweises zusammen: „Es sollen solche, die an den Wert der Worte dieser Männer glauben, darauf hingewiesen werden, wie in diesen Dingen schon vor jenem leeren Gerede katholische Bischöfe den göttlichen Worten folgten. Sie sollen wissen, dass von uns der rechte und von alters her grundgelegte katholische Glaube gegen die neue verhängnisvolle Anmaßung der häretischen Pelagianer verteidigt wird.“ Hatte Julian von Eclanum Augustinus der Erfindung der Erbsünde bezichtigt, so hielt ihm der Bischof von Hippo (c. Jul. 1,5–35; c. Jul. imp. 1,52) die Autorität acht abendländischer Väter (Irenäus, Cyprian, Reticius, Olympius, Hilarius, Ambrosius, Innozenz I., Hieronymus) und mehrerer Vertreter der griechischen Kirche (Basilius, Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomus) entgegen. Selbstbewusst konnte Augustinus (c. Jul. 1,30; 2,37) darauf verweisen, dass seine Ansichten nicht, wie Julian es hinzustellen versuchte, auf einem „Komplott verrufener Männer“ und einer unbewältigten manichäischen Vergangenheit beruhten, sondern in völligem Einklang mit den Überzeugungen jener waren, „die in der katholischen Kirche durch ihre Bemühungen um die gesunde Lehre hervorleuchteten“ und die universale Kirche sowohl chronologisch wie geographisch zu repräsentieren vermochten. Im einhelligen Zeugnis der Väter artikulierte sich also der Glaube der Kirche selbst (c. Jul. 1,34). Augustinus bemühte sich, die von ihm zitierten Autoren durch jeweilige Angabe ihres Bischofssitzes als authentische Glaubenslehrer zu erweisen, insofern sie als Amtsträger zeitlebens in Gemeinschaft mit der Kirche standen und diese repräsentierten. Dass diese Väter vor dem Aufkommen der aktuellen Kontroverse lebten, qualifizierte sie in besonderer Weise, da „sie über die Sache zu einem Zeitpunkt entschieden, wo niemand behaupten kann, sie hätten die eine Partei benachteiligt, die andere begünstigt“ (c. Jul. 2,34). Augustins Väterbeweis ist nicht nur durch ein klares Methodenbewusstsein gekennzeichnet, das verifizierbare, objektiv-korrekte und eindeutige Belege verlangte. Darüber hinaus ist auch das Verhältnis zwischen Schriftautorität und Väterargument von ihm bedacht worden. Als Ausleger der Bibel (divinarum scripturarum tractatores: Aug., pecc. mer. 3,12) werden die Theologen dieser untergeordnet. Allein ihr kommt die canonica auctoritas (pecc. mer. 3,14) mit dem Anspruch der Irrtumslosigkeit zu.

Schließlich soll ein konkretes Beispiel belegen, dass Wilson in dem patristischen Befund eine Übereinkunft sieht, die es so nicht gegeben hat. Es ist nur ein kleines Beispiel und es greift sein Hauptargument allein nicht an. Aber es zeigt, dass auch er nur ein Mensch ist. 

Wilson schreibt: „Kein anderer Autor vor ihm hatte gelehrt, dass Säuglinge aufgrund von Adams erster Sünde schuldig und verdammt waren und die Wassertaufe zur Errettung benötigten“ (S. 86). Das Thema „notwendige Taufe“ klammern wir hier mal aus. Ich selbst bin ein Kritiker der augustinischen Tauftheologie. Aber stimmt es, dass die christliche Theologie bis zu Augustinus keine strenge Lehre von der Ursünde kannte, nach der die Menschen unter dem Fall verloren waren? Ich denke, so einfach ist das nicht und kann mit mindestens einem Zitat belegen, dass der patristische Befund mehrdeutiger ist als Wilson das suggeriert. Melito von Sardes (gest. Um 180 n. Chr.) schrieb in seiner heilsgeschichtlichen Osterpredigt Vom Passa:

Dieser aber [gemeint ist Adam], nachdem er sehr zahlreich und alt geworden war, dadurch, daß er vom Baume gekostet und sich ausgebreitet hatte auf Erden – von ihm wurde ein Erbe hinterlassen seinen Kindern; er hinterließ nämlich seinen Kindern nicht Züchtigkeit, sondern Unzucht; nicht Unvergänglichkeit, sondern Vergängnis; nicht Ehre, sondern Unehre; nicht Freiheit, sondern Knechtschaft; nicht Königsherrschaft, sondern Tyrannei; nicht Leben, sondern Tod; nicht Heil, sondern Verderben. Unerhört und schrecklich wurde auf Erden das Verderben der Menschen. Dieses nämlich fiel ihnen zu: Von der tyrannischen Sünde wurden sie unterjocht und wurden in die Wogen der Begierden geführt, in die sie von den unersättlichen Lüsten hineingetaucht wurden durch Ehebruch, durch Hurerei, durch Schwelgerei, durch Geiz, durch Morden, durch Blutschuld, durch Tyrannei der Schlechtigkeit, durch Tyrannei der Gesetzlosigkeit; der Vater zog gegen den Sohn den Dolch und der Sohn legte Hand an den Vater; und der Frevler schlug die nährenden Brüste, und Bruder tötete den Bruder, und Gast tat dem Gaste Unrecht und Freund mordete den Freund und Mensch schlachtete den Menschen mit tyrannischer Rechten hin; alle waren sie entweder Menschenmörder oder Brudermörder auf Erden geworden. Aber noch schlimmere und schrecklichere Dinge wurden erfunden: Ein Vater legte Hand an sein eigenes, von ihm gezeugtes Fleisch; eine Mutter legte Hand an jene, die sie mit ihren Brüsten genährt; sie vergrub die Frucht ihres Schoßes im Schoße und die unglückliche Mutter wurde ein schreckliches Grab, da sie das Kind verschlang, das sie getragen hatte.

Diese Schilderung des Lebens unter dem Fall erinnert doch stark an das, was der Apostel Paulus über die Herrschaft der Sünde geschrieben hat. Nicht die Tatsünden machen uns zu Sündern, sie sind Ausdruck der über den Menschen herrschenden tyrannischen Sünde. Nachfolger Adams sind keine unschuldigen Menschen mit dem Potential zur Sünde. Nein, sie haben den Zustand der Verdorbenheit geerbt.

Nun weiß ich, dass Ken Wilson in seinem großen Buch Melitos Sichtweise kurz erörtert und sich dort der Deutung von Stuart G. Hall anschließt, der Melito so versteht:

Einmal im Gefängnis, ist der Mensch der Tyrannei der Sünde und seinem Kollegen, dem Tod, ausgesetzt, beides höchst personifizierte Figuren. Auf diese Weise hinterlässt Adam seinen Nachkommen ein unangenehmes Erbe, aber obwohl Paulus die Verbindung des Todes mit der Sünde verfolgt, gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Sündhaftigkeit selbst den Nachkommen Adams weitergegeben wird, wie in der späteren augustinischen Lehre.

Handfeste Begründungen für diese Interpretation fehlen. Dass es hingegen gute Indizien dafür gibt, Melito anders zu verstehen, ist beispielsweise bei dem katholischen Dogmatiker Leo Scheffczyk nachzulesen:

Melito sieht die Wirkung des Todes Christi in der Befreiung der Menschheit von dem durch Adam verursachten Verderben, der „hinausgeworfen wurde in diese Welt wie ein Verurteilter ins Gefängnis“ (§ 48). Im Lichte der Erlösungstat Christi beurteilt er nun auch den vorhergehenden Zustand der Menschheit und schildert ihn sehr drastisch und in dunklen Farben. Bemerkenswert ist an der Formulierung, daß hier erstmals die Folgen der Adamstat als Erbe (κληρονομια) bezeichnet werden, […]. Hiernach ist Adam offensichtlich der Stammvater aller Menschen, dessen Tat eine universale Unheilswirkung verursachte. Daß die Tat eines einzelnen am Anfang der Geschichte solches vermochte, wird genau so wenig als problematisch empfunden wie auf der Gegenseite die universale Effizienz der Heilstat Christi.

Ganz zum Schluss: Wer nicht durch Gott von der Herrschaft der Sünde befreit und in den Dienst gestellt wird, mag in der Lage sein, zivil zu leben. Gott lieben und zu seiner Ehre leben kann nur, wer erkannt hat, dass in seiner eigenen Natur nichts Gutes wohnt, noch nicht einmal das Vermögen, zu glauben. Wer nicht von Gott berufen wird, kann die Freude, die der Heiligen Geist jenen schenkt, die sich von ihm regieren lassen, nicht finden. Gott hat uns die Gnade erwiesen, dass wir an Christus glauben (vgl. Phil 1,29). Jesus ist der Anfänger und Vollender des Glaubens (vgl. Hebr 12,2). Der kostbare Glaube wird – wie ein Geschenk – empfangen (vgl. 2Petr 1,1). Apostelgeschichte 3,16 spricht sogar davon, dass der Glaube an Christus ein Glaube ist, der durch Christus selbst gewirkt wird (δίδωμι = gegeben, gewährt).

Führt der Glaube, dass der Glaube ein göttliches Geschenk ist, in den Fatalismus oder in die Passivität? Der Kompatibilismus, die Annahme also, dass Gott souverän regiert und der Mensch zugleich für sein Handeln verantwortlich ist, hat diesen Verdacht vehement zurückgewiesen. Ich behaupte nicht, dass dies einfach zu verstehen ist. Der kürzlich verstorbene Althistoriker Albrecht Dihle hat es nüchtern einmal so gesagt: „Im ganzen Alten Testament ist der Glaube an die Macht Jahwes, der alles Geschehen bestimmt und lenkt, ebenso lebendig wie die Überzeugung, daß der Mensch in seinem Tun und für sein Tun darum verantwortlich sei.“

So viel dazu von mir in aller Kürze und unsortiert. Vielleicht melde ich mich ja noch einmal sortiert zu Wort. 

– – –

Als PDF-Datei gibt es diesen Text auch mit Fußnoten: Wilson_Augustinus.pdf.

Verherrlicht durch Gottes Willen

Der Vorwurf, klassisch reformatorische Einsichten seien auf Neuschöpfungen des Kirchenvaters Augustinus zurückzuführen, ist schon recht alt. Die Reformatoren erster und zweiter Generation mussten sich immer wieder gegen diese Anwürfe zur Wehr setzen. Sie haben ganze Kataloge mit kirchengeschichtlichen Zeugen erstellt. Nicht nur das. Einige Reformatoren, etwa Heinrich Bullinger, sind durch die Lektüre der Väter zur Reformation durchgedrungen.

Wirklich Ruhe in dieser Diskussion gab es nie. Auch heute ist das Argument immer wieder zu hören. „Hat etwa Augustinus die Lehre von der Ursünde erfunden?“ Oder: „Stammt die Vorstellung von der Glaubensgerechtigkeit aus Nordafrika?“

Nun trifft es gewiss zu, dass Augustinus durch seine Konfrontationen mit den Manichäern, Donatisten und Pelagianern herausgefordert wurde, die Dinge sehr pointiert zu formulieren. Wir dürfen ruhig sagen, dass Augustinus den Weg der Theologie sehr maßgeblich beeinflusst hat. Dennoch gab es ausreichend Material, auf das der Kirchenvater (natürlich neben der Bibel) zurückgreifen konnte. Er selbst bemühte ja die Väter als Zeugen für seine Erkenntnisse.

Hier zwei Zitate, die aus dem 1. Jahrhundert stammen. Es handelt sich um eine apokryphe Schrift, die es sogar in den Anhang der Vulgata geschafft hat, nämlich das 4. Buch Esra (4Esr). Dort heißt es in 3,21–22:

Denn da Adam ein böses Herz in sich trug, hat er sich als erster vergangen und ist bezwungen worden, aber auch alle, die von ihm abstammen. Und die Schwäche wurde dauerhaft und das Gesetz mit dem Herzen des Volkes mit der Bosheit seiner Wurzel, und das, was gut ist, verschwand, und es blieb das Böse.

Oder in 7,45–46:

… Wer ist denn unter denen, die jetzt da sind, der nicht gesündigt hat, oder wer ist von den Geborenen, der nicht deine Verheißung übergangen hat? Und nun sehe ich, dass nur für wenige gilt, dass ihnen die künftige Welt Freude bereiten wird, vielen hingegen Qualen. Denn uns ist ein böses Herz eingewachsen, das uns diesem entfremdet und uns in die Verderbnis geführt hat und uns die Wege des Todes gezeigt hat, die Pfade des Verderbens, und uns weit entfernt hat vom Leben; und das nicht wenige, sondern beinahe alle, die geschaffen worden sind.

Im Blick auf die Glaubensgerechtigkeit (und Erwählung) gibt es einen außerordentlich bemerkenswerten Befund. Der 1. Clemensbrief gehört zu den ältesten literarischen Zeugnissen des frühen Christentums außerhalb des Neuen Testaments. Es gilt als sicher, dass der Text vor der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts verfasst wurde, wahrscheinlich sogar um die Jahrhundertwende. Wir lesen im Kapitel 32,3–4:

Alle nun sind verherrlicht und groß gemacht worden nicht durch sich selbst oder durch ihre Werke oder durch das gerechte Handeln, das sie vollbrachten, sondern durch seinen Willen. Auch wir also, die wir durch seinen Willen in Christus Jesus berufen worden sind, werden nicht durch uns selbst gerechtfertigt (δικαιούμεθα), auch nicht durch unsere Weisheit oder Einsicht oder Frömmigkeit oder durch Werke, die wir vollbracht haben mit frommem Herzen, sondern durch den Glauben, durch den der allmächtige Gott alle von Ewigkeit her gerechtfertigt hat. Ihm sei die Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Bitte nicht falsch verstehen. Bei den Kirchenvätern lässt sich viel, auch viel Unsinn, finden! Wir sind deshalb gut beraten, wenn wir unsere Theologie mit der Heiligen Schrift begründen. Aber wer sagt, die abendländische Theologie sei eine Erfindung Augustins, macht es sich zu einfach.

Augustinus-Lexikon (AL) als Online-Datenbank verfügbar

MediaDas von Fachleuten sehr geschätzte Augustinus-Lexikon ist nun auch online erreichbar. Das Zentrum für Augustinusforschung an der Universität Würzburg schreibt:

Das Augustinus-Lexikon ist ein maßgeblicher Meilenstein in der Erschließung von Augustinus und gilt als eine der wichtigsten Publikationen zur Erforschung der Spätantike. Es liefert eine umfassende Darstellung des Lebens und Denkens, der Schriften sowie des zeitgenössischen Kontexts des nordafrikanischen Rhetors, Philosophen und wirkungsgeschichtlich wohl bedeutsamsten Theologen Augustinus von Hippo (354–430). Das Lexikon, verfasst unter Mitarbeit international anerkannter Augustinus­-Spezialistinnen und -Spezialisten unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen, wird ca. 1100 Lemmata umfassen. Es verwendet ausschließlich lateinische, der Sprache Augustins entnommene Stichwörter und zitiert bedeutende Augustinus­-Texte wörtlich. Die Artikel erscheinen in deutscher, englischer oder französischer Sprache und enthalten ausführliche Bibliografien. Als Datenbank wird zuerst der Inhalt der vier bereits abgeschlossenen Bände verfügbar sein. Die letzten beiden noch ausstehenden Doppelfaszikel sowie der Registerband werden in den nächsten Jahren parallel zur gedruckten Fassung onlinegestellt. Geplant ist zudem eine digitale Augustinus­-Plattform, auf der das Augustinus-Lexikon, das Corpus Augustinianum Gissense und die Datenbank der Augustinus-Sekundärliteratur miteinander verlinkt werden.

Qualitätsmerkmale

• Eine der wichtigsten Publikationen zur Erforschung der Spätantike jetzt als online-Datenbank

• Umfasst ca. 1100 lateinische Lemmata mit Artikeln in deutscher, englischer oder französischer Sprache, umfangreiche Bibliografien und wörtliche Zitate aus bedeutenden Augustinus-Texten

• Intelligente Volltextsuche mit Anzeige der Fundstellen und Verweis auf verwandte Artikel

• Einfaches Zitieren durch Exportmöglichkeiten in gängige Literaturverwaltungssysteme (RIS-format)

• Online-Verfügbarkeit der vier abgeschlossenen Bände mit automatischer Aktualisierung bis zum Abschluss des fünfbändigen Lexikons

Eine Einzelplatzlizenz kostet im ersten Jahr € 290,-. Wer dran bleibt, erhält in den Folgejahren Vergünstigungen (hier die genauen Konditionen).

Beim Schwabe-Verlag gibt es die Startseite des Augustin-Lexikons: www.schwabeonline.ch.

Augustinus: Vom Wort Gottes und den eigenen Gedanken

Aurelius Augustinus (De doctrina Christiana, Buch 2,VII,8,17):

Daraufhin ist es nötig, in Frömmigkeit sanft zu werden und der Hl. Schrift nicht zu widersprechen, entweder weil wir verstanden haben, wenn sie irgendwelche Fehler von uns aufspießt, oder weil wir sie nicht verstanden haben, als ob wir besser denken und besser vorschreiben könnten, vielmehr ist eher zu bedenken und zu glauben, daß das, was dort geschrieben ist, auch wenn es verborgen sein sollte, besser und wahrhafter ist, als das, was wir durch uns selbst denken können.

Christus als Schlüssel zum Verständnis der Schrift

Augustinus beschreibt Christus als den hermeneutischen Schlüssel in seinem Traktat zum Johannesevangelium (zitiert aus: Michael Fiedrowicz, Handbuch der Patristik: Quellentexte zur Theologie der Kirchenväter,  Freiburg; Basel; Wien: Herder, 2010, S. 186–187, übrigens erhältlich in einer digitalen Ausgabe für die Logos Bibelsoftware):

Seht, was er sagt: dass in Christus erfüllt werden musste, was über ihn geschrieben steht (vgl. Lk 24, 25–27). Wo steht es geschrieben? „Im Gesetz“, sagt er, „in den Propheten und in den Psalmen“ (Lk 24, 27). Nichts von den alten Schriften ließ er aus. Das war Wasser; und deswegen wurden jene vom Herrn unverständig genannt, weil es ihnen noch als Wasser schmeckte, nicht als Wein. Wie aber machte er aus Wasser Wein? Indem er ihnen den Sinn erschloss und ihnen die Schriften auslegte, beginnend bei Mose durch alle Propheten hindurch. Daher sprachen sie, bereits trunken geworden: „Brannte nicht unser Herz auf dem Wege, da er uns die Schriften erschloss?“ (Lk 24,32). Denn sie verstanden Christus in diesen Büchern, in denen sie ihn nicht erkannt hatten. Es verwandelte also unser Herr Jesus Christus Wasser in Wein, und es schmeckt, was nicht schmeckte, es berauscht, was nicht berauschte.

 

Augustinus: Vom Umgang mit der Schrift

Augustinus, Epistula 82,3 (an Hieronymus, CSEL 34/2, 354/FC 41/2, 266):

Ich habe gelernt, nur den Büchern der Schriften, die jetzt als kanonisch bezeichnet werden, solche Ehrfurcht und Achtung entgegenzubringen, dass ich felsenfest glaube, dass keinem ihrer Autoren beim Schreiben ein Irrtum unterlaufen ist. Und wenn ich in diesen Texten auf eine Stelle stoße, die der Wahrheit zu widersprechen scheint, dann habe ich keinerlei Zweifel, dass entweder die Abschrift fehlerhaft ist oder dass der Übersetzer die Aussage nicht richtig getroffen hat oder dass ich sie unzulänglich verstanden habe.

Nach oben scrollen
DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner