„Die Welt ist stark von patriarchalen Werten und Normen geprägt, und ich glaube, dass wir uns das sehr selten bewusst machen“, sagt Lisa Jaspers, Autorin und Mitherausgeberin des Sammelbands Unlearn Patriarchy (vgl. hier). Seit einigen Monaten wird viel über das Buch gesprochen. Die Klimaaktivistin Luisa-Marie Neubauer, die gefühlt in den deutschen Medien omnipräsent ist, schreibt darüber: „Große strukturelle Denkhindernisse werden in diesem Buch von klugen Köpfen analysiert. Sie helfen zu verlernen, was Gegenwart und Zukunft zerstört.“
Was zerstört Gegenwart und Zukunft? Die Autorinnen des Buches eint die Überzeugung, dass patriarchale Verhaltensmuster und Glaubenssätze unser Leben prägen und daher aufgesprengt werden müssen. Dazu gehören beispielsweise Vernunft, Wahrheit und Wissenschaft, kurz: der Logos. Magnus Klaue schrieb treffend:
Denn für „Unlearn Patriarchy“ und alle Feinde des Westens, in deren Namen der Band spricht, sind Erziehung, Bildung, Sprache, Logos, Reflexions- und Urteilsfähigkeit nichts als Ausdruck des falschen Ganzen, das, weil alle wissen, dass damit immer das Schlechte gemeint ist, „Patriarchat“ heißt. Um dieses falsche Ganze zu bekämpfen, das sich in Form kollektiver schlechter Gewohnheiten niedergeschlagen hat, müsse man sich alle Spuren westlicher Sozialisation im Habitus, Denken und Sprechen abgewöhnen: Man muss buchstäblich den Glauben an Vernunft und Wahrheit verlernen, damit eine diverse Welt möglich ist.
Friederike Otto schreibt in ihrem Beitrag tatsächlich: „Wissenschaft ist daher das, was weiße Männer dafür halten, und das, was alle anderen von weißen Männern als wissenschaftlich zu erkennen gelernt haben“ (S. 95).
Doch Gegenwart und Zukunft wird nicht nur vom Logos, sondern auch von der bürgerlichen Familie und ihrer Heterosexualität zerstört. Emilia Roig treibt dieses Narrativ sendungsbewusst in ihrem Buchbeitrag „Unlearn Liebe“ voran (S. 60–61):
Die überwältigende Mehrheit der Menschen lebt in heterosexuellen Ehen oder Partnerschaften. Dies mag sich für viele Menschen natürlich anfühlen, aber die Heterosexualität ist größtenteils erlernt und wird gesellschaftlich gefördert und begünstigt. Warum? Weil sie wichtige Funktionen in unserer Gesellschaft erfüllt.
Die Frauen und ihre Sexualität, ihre Körper und Reproduktionsfunktion sowie ihre Arbeitskraft, ihren Besitz und ihr Kapital zu kontrollieren, ist die wichtigste Funktion der Heterosexualität – die durch die Ehe institutionalisiert wird. Diese Kontrolle kann nur kollektiv, institutionell, systemisch ausgeübt werden, auch wenn Frauen individuell das Gefühl haben, dass sie dieser Logik entkommen können und gar nicht in ihr gefangen seien. Unsere Sozialisation kultiviert in uns das Gefühl, dass die von uns erfahrene Liebe losgelöst sei von jeglichen gesellschaftlichen Mustern, von Hierarchien, Dominanz oder Unterdrückung. »Das mag alles draußen passieren, aber nicht bei mir, mein Mann ist anders. Uns betrifft das nicht.« Solche Sätze höre ich oft, wenn ich mich mit heterosexuellen Frauen über das Patriarchat unterhalte. Doch was in unseren intimen Leben geschieht, ist politisch und strukturell, nicht nur individuell -Frauen werden in eine Falle gelockt, wenn sie glauben, sie blieben verschont vom Patriarchat. So entwickelt sich ein Tabu: Das Patriarchat wird innerhalb der heterosexuellen Paarbeziehung nicht gern angesprochen. Feminismus ja, aber nur, wenn es die öffentliche Sphäre betrifft: Gender Pay Gap, sexuelle Belästigung auf der Straße, mangelnde Repräsentation der Frauen in Politik und Wirtschaft. Aber was zu Hause passiert, ist zu empfindlich, zu privat, zu fragil. Der Affekt ist zu groß. Patriarchale Muster innerhalb von heterosexuellen Beziehungen werden zudem oft individualisiert und nicht als systemisch betrachtet. Es handelt sich dann um »Beziehungsprobleme«, nicht um patriarchale Unterdrückung.
Da kommt die Liebe ins Spiel. Für Shulamith Firestone erfüllt die Liebe eine Schlüsselfunktion im Patriarchat. Sie könne mit einer Droge verglichen werden, die Frauen von der patriarchalen Unterdrückung abhängig mache.
Hier haben wir die klassische marxistische Sichtweise von der kleinbürgerlichen Familie, die die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen aufrechterhält und daher beseitigt werden muss, um den Menschen zu befreien.
Carl Trueman schreibt dazu: „Die sexuelle Revolution hat letztlich ein großes Ziel, nämlich die Zerstörung der Familie. Das leuchtet ein, denn die Familie ist das wichtigste Instrument, mit dem Werte von einer Generation zur nächsten tradiert werden. Aus marxistischer Sicht ist die Familie somit das Mittel, mit dem das falsche Bewusstsein weitergegeben und im Laufe der Zeit reproduziert wird. Ihre Zerschlagung ist daher unerlässlich. Die Werkzeuge für diese Zerstörung finden sich für Firestone in den Mitteln der Technik“ (Der Siegeszug des modernen Selbst, 2022, S. 311).
Wenn man als Frau zum Beispiel in moslemisch geprägten Ländern lebt, kann man die Abneigung gegen von Männern geprägte Gesellschaften sicher auch verstehen. Das gleiche gilt, wenn man z. B. auf die mit Prostitution, Pädophilie und Pornographie verseuchte westliche Gesellschaft schaut und der damit verbundenen Ausbeutung von Frauen. Andererseits, wer will in einer Gesellschaft leben, ohne die Erfindungen und den gesellschaftlichen Beitrag der in der Diskussion immer wieder abwertend bezeichneten „alten weißen Männer“?
Statt einer ausgewogenen Bestandsanalyse verlaufen sich die Aktivist*Innen in den engen Gassen ihrer Ideologie, ohne zu merken, dass schon sprachlich gesehen, viele ihrer Thesen und Forderungen sich selbst aufheben.
Am Ende bleiben die Vernunft und die Fähigkeit, aus der Geschichte zu lernen, wieder einmal auf der Strecke. Dazu gehört dann auch, dass man chronisch unfähig ist, den Segen zu erkennen und wertzuschätzen, den Judentum und Christentum bis auf den heutigen Tag für den einzelnen, die Familie und die Gesellschaft gebracht haben,
> > Die überwältigende Mehrheit der Menschen lebt in heterosexuellen Ehen oder Partnerschaften. Dies mag sich für viele Menschen natürlich anfühlen, aber die Heterosexualität ist größtenteils erlernt und wird gesellschaftlich gefördert und begünstigt. Warte was? Ich als queerer, als nichteterosexueller Mensch habe aber ein Problem mit der Aussage. Ich. Die eigene Sexualität erlernt man nicht, die hat man einfach. Ja, die Mehrheit ist heterosexuell, aber es gibt halt eine nicht-heterosexuelle Minderheit. Aber weder die Heteros noch Nichtheteros suchen sich ihre sexuelle Anziehung aus. Niemand sucht sich seine eigenen Gefühle aus. Die hat man einfach. Oder auch nicht. Aber du kannst nicht z.B. auf Knopfdruck aus einem Hetero einen Schwulen machen, oder umgekehrt. Das haben viele versucht, aber es ist krachend gescheitert. Die Wissenschaft weiß schon lange, dass Konversionstherapien nicht funktionieren. Wenn es sich für einen Menschen sich natürlich anfühlt, in rein heterosexuellen Beziehungen zu leben, dann liegt das vielleicht einfach daran, dass sie wirklich heterosexuell ist. *augenroll* Aber es gibt… Weiterlesen »
Wer sich für das Konzept der klassischen, natürlichen Familie einsetzt, wird immer wieder „Opfer einer „Gesinnungskontrolle“, die nicht einmal erlaubt, dass man eine bestimmte Meinung vertritt – wenn sie nicht dem Mainstream entspricht.“
Aktuelles Beispiel hier: https://ifamnews.com/en/full-house-star-candace-cameron-bure-defends-natural-family
@ Henry77 Schön, dass du wieder da bist und uns andere Perspektiven beibringst. Zur der „Verschwörungstheorie“ Abschaffung der klassischen Familie. Ich bin dieser Vorstellung in mainstream marxistischen Texte begegnet, die im Politikstudium zur Pflichtlektüre gehörte, und das in 1998. Die klassische Familie sei ein Produkt unterdruckender kapitalistischer Strukturen, muss also abgeschafft werden. Ich bin mir sicher, andere Leser können Stellen aus Autoren von vor der Oktoberrevolution benennen, die diese Sicht belegen. Der Satz „ich glaube, die Autorin verwechselt hier die Heteronormativität mit der Heterosexualität! Ein gigantischer Fehler.“ ergibt sich nur, wenn die eine konstruiert und und die andere echt sei. Ich komme hier an meine Grenzen, aber ich glaube, wir begreifen nicht, wie tief marxistischer Vorstellungen von Bewußtsein und falschem Bewußtsein hier die Position der Autorinnen prägen. Ist unsere ganze Vorstellung von wie und was wir sind und wie und was die Welt ist Ergebnis kapitalistischer Strukturen, dann ist mein Glaube, dass es einen Gott gibt, und dein Glaube, du… Weiterlesen »
„Die Frauen und ihre Sexualität, ihre Körper und Reproduktionsfunktion sowie ihre Arbeitskraft, ihren Besitz und ihr Kapital zu kontrollieren, ist die wichtigste Funktion der Heterosexualität – die durch die Ehe institutionalisiert wird“
Die Geburtenzahlen sind schon seit 50! Jahren unter der Marke von 2,1, die für eine stabile Altersverteilung der Geselschaft notwendig ist. Dies führt zu riesigen geselschaftlichen Problemen bzw. Folgekosten und die Politik versucht mit enormem Aufwand gezusteuern.
Wie kommt man da zu dem Schluss, dass das Patriachat die Reproduktion kontrolliert?
Sagt mir, wo die Frauen sind? Wo sind sie geblieben?
Es ist echt kurios, wenn hier hetero- und homosexuelle Kerle miteinander Frauenbelange diskutieren.
@ Ron: ich verlange eine Frauenquote für den Theoblog!!!!
@Alex: Dem Anliegen ist Ron sicher gewogen. Welche Definition von Frau sollten wir denn festlegen?
@ David: Wann ist ein Mann ein Mann? – wusste seinerzeit immerhin HG zu beantworten. Wie man heutzutage aber angemessen „Frau“ definiert, könnte inzwischen nicht mal Alice Schwarzer sagen. Sehr schwierig alles…
[…] werden, geht aus einem Zitat hervor, das ausgerechnet aus dem von mir scharf kritisierten Buch Unlearn Patriarchy stammt. Margret Rasfeld plädiert in ihrem Beitrag „Unlearn Bildung“ für die völlige […]