John Lennox: Naturwissenschaft hat Gott nicht begraben

Prof. John Lennox hat zum Parlamentarischen Gebetsfrühstück in Großbritannien am 25. Juni 2013 eine Ansprache zur Schöpfungswissenschaft gehalten, die freundlicherweise von Cornelia Imming für Wort & Wissen übersetzt wurde. Lennox sagte:

Aber die Naturwissenschaft hat Gott nicht begraben. Ironischerweise war es die Bibel, die Europa mit dem Gedanken erfüllte, dass ein rationaler, intelligenter Gott das Universum geschaffen hat und erhält. Sie bereitete damit den Boden für die moderne Naturwissenschaft. „Menschen wurden wissenschaftlich, weil sie Gesetze in der Natur erwarteten, und sie erwarteten Gesetze in der Natur, weil sie an einen Gesetzgeber glaubten“ (C. S. Lewis). Der Glaube an Gott behinderte also Naturwissenschaft nicht – im Gegenteil, der Glaube war der Motor, der die Naturwissenschaft antrieb.

Trotzdem wird darauf bestanden, dass wir zwischen Gott und Naturwissenschaft wählen müssen. Aber das stimmt auf gar keinen Fall. Wir müssen nicht zwischen Gott und der Naturwissenschaft als Erklärung für den Kosmos wählen, so wie wir nicht zwischen Sir Frank Whittle und Naturwissenschaft als Erklärung für das Strahltriebwerk wählen müssen. Diese Erklärungen stehen nicht in Konkurrenz oder im Konflikt zueinander, sondern ergänzen sich – beide sind notwendig. Gott ist nicht dieselbe Art von Erklärung wie Naturwissenschaft. Gott ist die Erklärung dafür, warum es überhaupt ein Universum gibt, in dem Naturwissenschaft betrieben werden kann.

Deshalb gibt es nach wie vor hervorragende Wissenschaftler, die an Gott glauben; denn es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der rationalen Verständlichkeit des Universums und der Rationalität Gottes.

Hier der vollständige Vortrag: d13-3.pdf.

Wenn ein Mensch langsam unsichtbar wird

Vor drei Tagen hat die 82-jährige Frau Hansen zuletzt mit jemandem gesprochen. Es war die Supermarktkassiererin.  Katharina Miklis beschreibt für die WELT ein wachsendes Problem, das auch die Kirchen etwas angeht: die Vereinsamung älterer Menschen:

Ein Leben lang war sie von Menschen umgeben. Jetzt ist Frau Hansen auf einmal allein und spricht nur noch mit der Frau an der Supermarktkasse: Wie geht es einem Menschen, den die Gesellschaft abgehängt hat – nur weil er alt ist?

Frau Hansen hat sich nie darüber Gedanken gemacht, dass sie einmal alt werden könnte. Und schon gar nicht darüber, dass sie alleine alt werden könnte. Jetzt sitzt sie hier und ist plötzlich 82. Alt fühlt sie sich noch immer nicht. Aber allein. Die Einsamkeit kam schleichend. Frau Hansen konnte nichts dagegen tun. Plötzlich war sie da, die Stille. Das Telefon klingelte nicht mehr, der Besuch blieb aus.

Mehr: www.welt.de.

Das Evangelium für Litauen

lahayneEs ist mir eine Freude, das Blog meines ehemaligen Kollegen Holger Lahayne vorzustellen. Holger lebt mit seiner Familie in Litauen und arbeitet dort für die Studentenmission IFES (in Litauen LKSB) sowie als Dozent am Ev. Bibelinstitut. Ausserdem übersetzen Holger und seine Frau Rima christliche Literatur in die litauische Sprache, derzeit arbeiten sie an einer Neuübersetzung des Heidelberger Katechismus.

Holger ist Kurator der Evangelisch-reformierten Kirche Litauens. Die Kirche hat kürzlich einen „Kanon zu Ehe und Scheidung“ herausgegeben, der im Auftrag der Synode ins Deutsche übersetzt wurde (der Text kann hier eingesehen werden). Der Beschluss der Ev.-reformierten Kirche Litauens ist bibelbezogen und hebt sich damit deutlich von der Orientierungshilfe der Ev. Kirche in Deutschland ab. In einem ideaSpektrum Leserbrief schrieb Holger Lahayne kürzlich:

Eine Kluft zwischen den Protes­tanten Europas entsteht Kardinal Meisner warnt vor einem „tiefen Riss in der Ökumene“, verursacht durch die jüngste „Orientierungshilfe“ der EKD zum Thema Ehe und Familie. Eine immer größere Kluft tut sich auch innerhalb der Protes­tanten Europas auf. Aufgrund ganz unterschiedlicher Ansichten zu Ehe und Sexualität haben beispielsweise die Lutheraner der baltischen Länder schon seit Jahren keine Gemeinschaft mehr mit der Kirche Schwedens. Nun nahm bei der Synode im Juni die Evangelisch-refomierte Kirche Litauens einen Kanon zu Ehe und Scheidung an und kehrte damit zu biblischen und reformatorischen Grundsätzen zurück. Die Ehe wird dort als „ein heiliger Bund zwischen einem Mann und einer Frau“ bezeichnet, und es ist Gottes Wille, dass dieser Bund ein Leben lang hält. Unzucht wird biblisch definiert, und bei den Scheidungsgründen und der Wiederheirat wird die traditionelle reformierte Lehre bekräftigt. Diese Sicht wurde von Deutschland her schon als biblizistisch gebrandmarkt. Sie würde eine evangelikal-fundamentalistische Weltanschauung widerspiegeln. Die Kirche Litauens wird ihre Position auch in der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, zu der einige EKD-Kirchen gehören, verteidigen. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass manche Kirchen des Westens und die Zentral- und Osteuropas unterschiedliche Wege gehen.

Wer sich für das wunderschöne Litauen und die Kirchen dort interessiert, wird auf der Seite www.lahayne.lt viele interessante Informationen finden. Holger kommentiert auch Themen, die weit über Litauen hinausreichen, wie z.B. den neuen evangelikalen Moralismus: Sünde Smartphone?.

Holger und Rima brauchen für Ihre Arbeit weitere Unterstützung. Wer ihnen helfen möchte, findet hier weitere Informationen: lahayne.lt.

Für ein selbstbestimmtes Leben

Für den von mir schon mehrmals zitierten Psychoanalytiker Rainer Funk ist die Ich-Orientierung das herausragende Kennzeichen des postmodernen Menschen. Funkt schreibt (Ich und Wir, S. 55):

Der postmoderne Ich-Orientierte strebt leidenschaftlich danach, frei, spontan, unabhängig und ohne Begrenzungen durch Vor- und Maßgaben selbst bestimmen zu können. Das entscheidende Movens ist die postmoderne Lust an der selbstbestimmten, ich-orientierten Erzeugung von Wirklichkeit, und zwar der den Menschen umgebenden Wirklichkeit, die er sich selbst schafft, ebenso wie der Wirklichkeit, die er selbst ist, indem er sich selbst erschafft – nach dem Motto: „Nur wenn du etwas aus dir machst, bist du was!“ … Die Grundüberzeugung postmoderner Ich-Orientierung lautet: „Lass dir von niemandem sagen, wer du bist. Du bist der, der du bist.“

Soweit klar?

Nun empfehle ich einen Werbespot der „Jungen Grünen“ aus Österreich:

VD: HS

ARD: „Koalition der Frommen“

Wie gefährlich ist – so fragt Tilman Jens in seiner brisanten ARD-Dokumentation morgen Abend in der ARD –, in unserem Land die Koalition der Frommen? Hat der „Sündenfall“ des Rechtsstaats Methode? In Kirchen gibt es kein nennenswertes Streikrecht, in bayerischen Klassenzimmern hängen die Kruzifixe noch immer, als hätte es nie ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben. Auch das Beschneidungsurteil von Dezember 2012 weist eine klare Richtung des Staates in seinem Verhältnis zur Religion.

Tilman Jens beleuchtet dieses Verhältnis in seiner Dokumentation und in seinem Buch und entfaltet es in pointierten Thesen:

  • Die Privilegien, die der Staat den Glaubensvereinigungen in demonstrativer Gottesfurcht gewährt, stehen lang schon in keiner Relation mehr zu ihrer tatsächlichen, gesellschaftlichen Bedeutung.
  • Eigentlich ist eine Organisation wie die katholische Kirche, die Verbrechen systematisch verdunkelt, ein Fall für den Verfassungsschutz. Aber die Religionsfreiheit genießt Immunität im Lande, die so schnell niemand aufhebt.
  • Einzig im Gottesstaat ist die gerne beschworene Religionsfreiheit ein Spiel ohne Grenzen.
  • Die Aussichten sind trübe: Da zieht eine Koalition der Frommen in den Krieg gegen den Rechtsstaat – und dessen Garanten aus der Politik lassen sich, in der Stunde der Bewährung, wie Nasenbären durch die Manege führen.

Also: ARD, „Koalition der Frommen – Wie viel Religion verträgt die Republik?“, Mittwoch, 04. September, 23.30 Uhr.

Wir dürfen gespannt sein und ahnen zugleich, was da wieder auf uns zukommt.

– – –

Nachtrag vom 05.09.13: Hier der Link zu Mediathek: m.daserste.de.

Weder Mann noch Frau

Der sympathische Heinz-Jürgen Voß beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Dekonstruktion binärer Geschlechterdifferenz und möchte den postmodernen Gendertheorien eine biologische Verankerung zuschreiben. Kurz: Judith Butler geht mit ihrer Konstruktion des sozialen Geschlechts nicht weit genug. In einem Beitrag für die marxistisch–feministisch–linksradikale Zeitschrift ak – analyse & kritik, die Zeitung für linke Debatte und Praxis schreibt Voß (Nr. 547 vom 19.2.2010):

Die im folgenden dargelegte Kritik an Butlers Ansatz bezieht sich jedoch darauf, dass er nicht weitreichend genug ist. Butler verblieb auf der Ebene von „Erscheinungen“, auf der Ebene performativer Herstellung. Butler führte exzellent aus, dass Merkmale, dass Körper erst in Gesellschaft gelesen werden und dass damit geschlechtliche Deutungen auch gesellschaftliche sind. Diese These ist durch die historischen Arbeiten von Thomas Laqueur, Londa Schiebinger und Claudia Honegger gut belegt – so wandelten sich zeitlich die körperlichen (physiologischen und anatomischen) Merkmale, die als geschlechtlich gelesen wurden. Lange Zeit wurden weibliche und männliche Zeugungsstoffe gleichermaßen als „Samen“ beschrieben, z.T. mit Unterscheidung der Qualität; sie wurden allerdings nicht als binär und gegensätzlich wahrgenommen, wie es heute oftmals geschieht.

Mit der Betonung performativer Akte erscheinen Deutungen als gesellschaftlich, allerdings bleiben Körper und Organe – vermeintlich vorhandene Materialität, die anfassbar sei – unangetastet. Auch mit Butlers Ausführungen bleiben in der öffentlichen – populären und wissenschaftlichen – Debatte „Gebärmutter“, „Vagina“, „Klitoris“, „Eierstock“, „Penis“, „Hodensack“, „Hoden“ Bezeichnungen für scheinbar sichere, tatsächlich vorhandene Organe, die zur gut begründeten Einteilung von Menschen in „Frauen“ und „Männer“ bei wenigen „Abweichungen“ herangezogen werden könnten. Die derzeitige gesellschaftliche Deutungsweise von körperlichen Merkmalen als binär-geschlechtliche erscheint als selbstverständliche, die sich beim Lesen der „natürlichen Vorgegebenheiten“ aufdränge.

Die Entwicklung der Geschlechterdifferenz wird von Voß marxistisch als ein „gesellschaftliches Produkt“ interpretiert. Die binäre Unterscheidung von männlich und weiblich dient der Verfestigung von kapitalistischen Unterdrückungsstrukturen. Sie gaukeln uns Menschen Sicherheit und Eindeutigkeit vor, stehen jedoch tatsächlich der Wahrnehmung ureigenster Bedürfnisse im Weg. Also (Heinz-Jürgen Voß: „Biologisches Geschlecht ist ein Produkt von Gesellschaft!“, Soziologie Magazin, 1/2013, Jg. 6, S. 87–91, hier S. 88–89):

Produkte, Institutionen, Kategorien führen bereits von eigentlichen Bedürfnissen von Menschen weg – und führen letztlich dazu, dass wir als Menschen gar nicht (mehr) in der Lage sind, unsere Bedürfnisse außerhalb von Produkten, Institutionen und Kategorien zu formulieren. Bezogen auf Geschlecht heißt dies, dass wir gar nicht in der Lage sind, unsere Begehrensweisen, unsere vielfältigen Bedürfnisse auf Menschen zu richten, ohne diese Menschen zuvor in ein Korsett „weiblich“ oder „männlich“ zu zwängen.

Für die Befreiung des Menschen ist die Entkategorisierung des Geschlechts damit ein Politikum (Heinz-Jürgen Voß: „Biologisches Geschlecht ist ein Produkt von Gesellschaft!“, S. 91):

„Geschlecht“, auch „biologisches Geschlecht“ wird damit einmal mehr als gesellschaftliches Produkt augenscheinlich. „Geschlecht“, auch „biologisches Geschlecht“ ist wandelbar und es rückt so auch die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne „Geschlecht“ in den Bereich des Denkbaren. Zumindest gibt es keinen, aber auch gar keinen Grund an „Geschlecht“, dieser gesellschaftlichen Kategorie/Institution, mit der historisch so viel Diskriminierung, Benachteiligung, Bevorteilung, Leid verknüpft war, weiterhin festzuhalten! Und ein Abgehen von „Geschlecht“ ermöglicht uns, Wahrnehmungen und Begehren vielfältiger auszurichten …

Der Sozialwissenschaftler ist inzwischen auch in der Evangelischen Kirche angekommen. In der aktuellen Ausgabe von Chrismon ist zu lesen, dass die Theorie der biologischen Zweiteilung auf die Nazis zurückgeht und unsere Welt viel schöner wäre, gäben wir diese Unterscheidung auf. Voß: „Das Geschlecht hätte einen Stellenwert wie heute das Sternzeichen oder ob ich Tiere mag. Man kann danach fragen, aber es ist nicht wirklich von Bedeutung“ (Chrismon, September 2013, S. 7).

Da wir nun schon mal bei dem Thema „Geschlechterkonstruktion“ sind, empfehle ich den Beitrag „Das Tabu der Gender-Theorie – Geisteswissenschaftliche Geschlechterforschung und die Biologie“ von Ferdinand Knauß (aus: Helmut Fink und Rainer Rosenzweig (Hg.): Mann, Frau, Gehirn: Geschlechterdifferenz und Neurowissenschaft, 2011, S. 115–132). Der Aufsatz, der online einsehbar ist und übrigens auch kurz das Voß-Argument kritisiert, zitiert im Epilog eine renommierte Philosophin mit folgenden Worten:

„’Naturalismus’, ‚Ontologisierung’, ‚Essentialismus’ und ‚Biologismus’ … fungieren inzwischen geradezu als Denkverbote. Jeder Versuch, anthropologische Konstanten auch nur als Grenzwerte für Transformationsprozesse zu bestimmen, jeder Versuch zu reflektieren, was es für Menschen bedeutet, sich ebenso wie Tiere fortpflanzen zu müssen (wenn sie sich denn überhaupt fortpflanzen wollen), und jeder Versuch, die Geschlechterdifferenz philosophisch zu reflektieren, ohne sie vorab als reines Konstrukt zu setzen, kann damit bereits unter Ideologieverdacht gestellt werden.“

VD: JS

Schafft die Toleranz ab

Toleranz beschreibt die Fähigkeit, anderen Menschen fair und offen zu begegnen. Es gibt aber auch eine Kehrseite der Toleranz. Die im heutigen Petersburg geborene russisch-jüdische Schriftstellerin Lena Gorelik macht auf eine falsche Toleranz aufmerksam, die ehrlicher Begegnung und dem Erkenntnisfortschritt im Weg steht. Gorelik:

Und an mancher Stelle ist Toleranz auch einfach nur feige. Weil es selbstverständlich einfacher ist, sich als toleranter Mensch gut zu fühlen, denn nachzufragen, zu widersprechen, zu streiten, Differenzen festzustellen, zu akzeptieren, auszuhalten. Dies gilt für Freundschaften und Beziehungen nicht minder als anderswo in der Gesellschaft.

Hier der DLF-Beitrag:

Norbert Bolz: Die Krise des Bildungssystems

Bereits zum dritten Mal wurde der hoch dotierte Tractatus als Preis für philosophische Essayistik vergeben. Bei der feierlichen Verleihung im Rahmen des Philosophicum Lech bedankte sich der Preisträger Norbert Bolz, Medienwissenschaftler und Kulturphilosoph, mit einer pointierten Rede, die seinem Ruf als streitbarer Zeitgenosse wie auch dem Charakter eines Tractatus mehr als gerecht wurde. In seiner gleichermaßen überaus klugen wie pointierten Rede spricht Bolz über das deutsche Bildungssystem, über ‚Political Correctness‘ und die Folgen eines mehr und mehr erstarkenden konformistischen Zeitgeistes.

Zitat:

Die Wissenschaft ist längst in den Dienst des Gruppenkultus getreten. Und an dem typischen Campusphänomen der politischen Korrektheit kann man sehen, dass nicht mehr die Wissenschaft verfolgt wird, sondern sie selbst die Verfolgung des häretischen Geistes organisiert. An den Universitäten darf man heute dumm sein, aber man darf nicht von der Parteilinie abweichen.

Hier der Audiomitschnitt dieser ausgezeichneten Rede:

VD: LR

Offener Brief von Wilfried Härle

Der evangelische Dogmatiker Prof. Dr. Wilfried Härle hat einen Offenen Brief an den Ratsvorsitzenden der EKD zur Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ verfasst.

Ich zitiere aus dem mir vorliegenden Schreiben:

Die evangelische Kirche ist von ihrem Ursprung her bestimmt von der Grundüberzeugung, dass ihr die Offenbarung Gottes, die sie in dieser Welt zu bezeugen hat, auf keinem anderen Weg überliefert ist als durch die Bibel. Deshalb gewinnt die Kirche ihre Orientierung aus der Heiligen Schrift, die aus sich selbst auszulegen ist. Dieser Grundüberzeugung setzt der EKD-Text (S. 13) die These entgegen: „Angesichts der Vielfalt biblischer Bilder und der historischen Bedingtheit des familialen Zusammenlebens bleibt entscheidend, wie Kirche und Theologie die Bibel auslegen und damit Orientierung geben“. Damit wird die Orientierungsfunktion der Bibel für Kirche und Theologie ersetzt durch die Orientierungsaufgabe, die Kirche und Theologie durch die Art ihrer Auslegung der Bibel wahrnehmen sollten. Und woran orientiert sich diese Auslegung, wenn nicht am Wortlaut der Bibel und damit an dem durch ihn bezeugten Inhalt der Schrift? In der vorliegenden Orientierungshilfe ist es offensichtlich die „historische Bedingtheit des familialen Zusammenlebens“, wie die Verfasser dieses Textes sie sehen. Eine Folge dessen ist, dass die schöpfungstheologische Aussage über das Zusammenleben von Mann und Frau (Gen 2,24), die im Neuen Testament, insbesondere von Jesus, so oft zitiert wird, wie kein anderer Text, faktisch auf die mehrfach zitierte Formel reduziert wird: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“. Und der EKD-Text versteigt sich sogar zu der Behauptung, ein normatives Verständnis der Ehe als göttliche Stiftung entspreche nicht dem biblischen Zeugnis. Und das nennt er selbst „Theologische Orientierung“.

Der zweite Bruch mit einer evangelischen Grundüberzeugung findet dort statt, wo der EKD-Text sein erweitertes Familienverständnis gegen alle normativen Aussagen über (geschlechtsbedingte) Lebensformen in Stellung bringt: „Wo Menschen auf Dauer und im Zusammenhang der Generationen Verantwortung füreinander übernehmen, sollten sie Unterstützung in Kirche, Gesellschaft und Staat erfahren. Dabei darf die Form, in der Familie und Partnerschaft gelebt werden, nicht ausschlaggebend sein. Alle familiären Beziehungen, in denen sich Menschen in Freiheit und verlässlich aneinander binden, füreinander Verantwortung übernehmen und fürsorglich und respektvoll miteinander umgehen, müssen auf die Unterstützung der evangelischen Kirche bauen können.“ (S. 141) Wenn man diese Aussagen ernst nimmt, heißt das, dass die evangelische Kirche in Zukunft Bigamie, Polygamie, sexuelle Dauerbeziehungen in Kommunen, inzestuöse Lebensverhältnisse etc. tatkräftig unterstützen muss, wenn diese Lebensformen in Freiheit, Verlässlichkeit, Verantwortung, Fürsorge und Respekt eingegangen und geführt werden.

Sollte dies tatsächlich die Meinung (des Rates) der EKD sein, dann folgt daraus u. a., dass auch für Pfarrerinnen und Pfarrer künftig die Form, in der sie Familie und Partnerschaft leben, nicht ausschlaggebend sein darf. Sollte man dem Rat der EKD empfehlen, diese beiden fatalen Brüche mit den normativen Grundlagen der evangelischen Kirche nachträglich aus dem Text herauszunehmen und den Rest zu erhalten? Bei diesem Versuch würde sich voraussichtlich zeigen, dass genau dies in methodischer Hinsicht die beiden tragenden Pfeiler des ganzen Textes sind, ohne die er in sich zusammenbräche. Aber ich fände: immer noch besser, der Text bräche zusammen, als dass die evangelische Kirche theologisch den Boden unter den Füßen verliert.

VD: EP

Wofür ist die Kirche da?

Die AfeM-Jahrestagung am 4. und 5. Januar 2013 stand unter dem Thema „Transformationstheologie“. Zu den Referenten gehörten Befürworter klassischer Evangelisation und Mission sowie Vertreter der sogenannten „transformativen Theologie“. Da hier im Blog immer wieder über die Frage der Transformation diskutiert wird (vgl. hier), stelle ich meinen eigenen Vortrag nun ins Netz. Ich sollte der Frage nachspüren, ob es Überschneidungen zwischen der Theologie aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und den neueren evangelikalen Entwicklungen gibt. Den sehr gedrungenen Redestil bitte ich zu entschuldigen. Die Referenten hatten eine Redezeit von jeweils zwölf Minuten. Da liegt die Würze in der Kürze.

Hier also: „Wofür ist die Kirche da? Anfragen an die transformative Eschatologie“:
Transformation2013_AfeM-Web.pdf.

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