Robert Kolb ist wahrscheinlich einer der besten Luther-Kenner jenseits des deutschsprachigen Sprachraums. Matthew Barrett vom CREDO MAGAZIN hat kürzlich mit ihm gesprochen. Es geht um Fragen: Welche Art von Hermeneutik hat Martin Luther auf die Schrift angewandt? Warum glaubte Luther, dass die Gegenwart Gottes für eine richtige Auslegung der Schrift so wichtig sei? Welche Beziehung besteht für Luther zwischen dem Kreuz und dem Kanon? Was versteht Luther unter sola scriptura und welchen Platz hat die Vernunft in der Bibelauslegung? Hat die Neo-Orthodoxie Luthers Sicht von Christus und der Bibel richtig verstanden? Was haben wir von Luthers berüchtigten Äußerungen zum Jakobusbrief zu halten.
Gudrun Neebe schreibt über den wahren Gottesdienst nach Luther (Apostolische Kirche, 1997, S. 118–119):
Nachdem Luther das entscheidende Kriterium für die Differenzierung zwischen wahrem und falschem Gottesdienst bereits benannt hat, geht er dann an den Zehn Geboten entlang und konkretisiert und detailliert anhand dieser jenes Kriterium noch, weil s.E. in den Zehn Geboten zusammengefaßt ist, was es heißt, Gott zu dienen, so daß allein derjenige Gott dient, der Gottes Gebote hält.
Luther bezeichnet mit dem Terminus Gottesdienst folglich nicht ausschließlich die Versammlung und Feier der Christen im Gotteshaus, sondern das gesamte Leben des Menschen vor dem Angesicht Gottes, wie seine Bezugnahme auf die Zehn Gebote deutlich macht.
Gott recht zu dienen, heißt nach der Auffassung Luthers:
1. Gott alle Zeit zu ehren und von ganzem Herzen zu lieben, sowie alle Zuversicht und alles Vertrauen auf ihn zu setzen. (Dies ist der Hauptgottesdienst und das höchste Stück.)
2. Gott in Not anzurufen und sich jederzeit öffentlich zu ihm zu bekennen.
3. Bereit zu sein, für dieses Bekenntnis zu Gott, Leid und Verfolgung auf sich zu nehmen.
Glauben, Bekennen und Leiden fordere die erste Tafel der Gebote. Auf diese Weise werde der Welt und diesem Leben entsagt und allein Gott gelebt. Gott recht zu dienen, heißt nach der zweiten Tafel der Gebote:
4. Vater und Mutter gehorsam zu sein, sie zu ehren und ihnen zu helfen.
5. Niemandem Schaden zuzufügen und statt dessen jedermann wohl zu tun.
6. Keusch und gemäßigt zu leben.
7. Niemanden zu betrügen und zu übervorteilen, sondern jedermann auszuhelfen und vor Schaden zu bewahren.
8. Keinen Menschen durch Worte zu verletzen und jeden zu schonen und zu entschuldigen.
9. u. 10. Niemandes Weib noch Gut zu begehren.
Ausschließlich dies verlange Gott, so daß überall dort, wo mehr oder anderes gefordert werde, Gott nicht recht gedient, sondern ein falscher Gottesdienst erfunden werde, so meint Luther.
Lucas Cranach der Ältere – Marie-Lan Nguyen (2012), Gemeinfrei.
Die Heidelberger Disputation (Disputatio Heidelbergensis) war ein von Johann von Staupitz an der Heidelberger Universität einberufenes Generalkonvent für den Zeitraum vom 25. bis zum 27. April 1518. Es fand also vor 500 Jahren statt. Luther gewann damals etliche Anhänger unter den Studenten und Magistern der Artistenfakultät. Spätere Reformatoren wie Martin Bucer oder Johannes Brenz waren unter den Zuhörern und ließen sich für die Anliegen der reformatorischen Theologie begeistern.
Die Disputation ist stark mit der Theologie des Kreuzes verbunden. Bei Luther tritt der Begriff zwar nur vereinzelt auf. Bei den Erörterungen 1518 verwendet der junge Reformator die Formulierung allerdings in einer sehr grundlegenden und bahnbrechenden Weise. Er stellt die sogenannte „Herrlichkeitstheologie“ (theologia gloriae) der „Kreuzestheologie“ (theologia crucis) gegenüber.
Der Theologe der Herrlichkeit findet Gott durch die Schöpfung. Der Aufbau der Summe der Theologie des großen Thomas von Aquin (1225–1274) kann beispielsweise auf die Formel „Von Gott durch die Welt zu Gott in Christus – dem Gekreuzigten“ gebracht werden.
Luther wendet sich nun nachdrücklich gegen eine Theologie, die unter dem Eindruck der griechischen Philosophie (bes. Aristoteles) vorgibt, vernünftige Wege zu Gott gefunden zu haben. Luther verurteilte sie in seiner 19. These mit den Worten, dass der nicht wert sei, „ein Theologe zu heißen, der Gottes ‚unsichtbares Wesen durch das Geschaffene erkennt und erblickt‘ (Röm 1,20)“. Die Theologie der Herrlichkeit verzwecke Gott und raube ihm die Ehre. Sie „bläht auf, macht blind und verstockt“, heißt es in der 22. These. „Das (dem Menschen) zugewandte und sichtbare Wesen Gottes ist das Gegenteil des Unsichtbaren, nämlich: seine Menschheit, Schwachheit, Torheit“ (20. These). Gott will im Leiden erkannt sein. Und so formuliert Luther in der 20. These:
So genügt oder nützt es keinem schon, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schande des Kreuzes erkennt … Also liegt in Christus dem Gekreuzigten die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes. Und [in] Joh. 14, 6 heißt es: ‚Niemand kommt zum Vater, denn durch mich …
In letzter Analyse setzt nach Luther die Theologie der Herrlichkeit das Vertrauen auf die Werke und führt deshalb zur Verherrlichung des Menschen. Sie beschönigt das desolate Sündersein, das sogar die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung missbraucht. Allein die Kreuzestheologie lässt Gott dem ihm geschuldeten Ruhm zukommen, da sie alles von Christus erwartet. Wir finden nur durch Christus zu Gott (und in einem gewissen Sinn auch zur Welt). Es gibt keine wahre Theologie ohne Kreuz.
Nachfolgend einige Zitate aus den Disputationen (Luther, M. (2006). HEIDELBERGER DISPUTATION. In W. Härle, J. Schilling, & G. Wartenberg (Hrsg.), W. Härle (Übers.), Der Mensch vor Gott: Deutsche Texte (Bd. 1, S. 37–39). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, zitiert aus der digitalen Logos-Ausgabe).
III:
DIE WERKE DER MENSCHEN, WIE SCHÖN SIE AUCH IMMER SEIEN UND WIE GUT SIE ERSCHEINEN, SO GLAUBHAFT IST DOCH, DASS SIE TODSÜNDEN SIND.
Die Werke der Menschen erscheinen schön, aber innerlich sind sie hässlich, wie Christus von den Pharisäern Mt 23 sagt. Denn sie erscheinen ihnen und anderen gut und schön, aber Gott ist es, der nicht nach dem äußeren Ansehen urteilt, sondern die Nieren und Herzen erforscht. Aber ohne Gnade und Glauben ist es unmöglich, ein reines Herz zu haben. Apg 15: „Durch den Glauben reinigt er ihre Herzen.“
Die These wird deshalb [so] bewiesen: Wenn die Werke der gerechten Menschen Sünden sind, wie die These VII sagt, wie viel mehr der Menschen, die noch nicht gerecht sind. Aber die Gerechten sagen im Blick auf ihre Werke: „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, Herr, denn vor dir wird kein Lebender gerechtfertigt werden.“ Ebenso der Apostel Gal 3: „Die aus den Werken des Gesetzes sind, sind unter dem Fluch.“ Aber Menschenwerke sind Gesetzeswerke. Und die Verfluchung wird nicht lässlichen [Sünden] zuteil, also sind sie Todsünden. Drittens Röm 2: „Der du lehrst, man solle nicht stehlen, stiehlst.“ Das erklärt der Selige Augustinus [so]: „Nach ihrem schuldigen Willen sind sie nämlich Diebe, auch wenn sie äußerlich andere Diebe verurteilen und belehren.“
XVI:
DER MENSCH, DER GLAUBT, ER WOLLE DADURCH ZUR GNADE GELANGEN, DASS ER TUT, WAS IN SEINEN KRÄFTEN STEHT, FÜGT SÜNDE ZUR SÜNDE HINZU, SO DASS ER DOPPELT SCHULDIG WIRD.
Denn aus dem Gesagten ist offenkundig: Indem er tut, was in seinen Kräften steht, sündigt er und sucht überhaupt das Seine. Aber wenn er glauben sollte, durch Sünde der Gnade würdig oder für die Gnade geeignet zu werden, fügt er sogleich hochmütige Vermessenheit hinzu und glaubt, dass Sünde nicht Sünde und Böses nicht Böses sei, was eine überaus große Sünde ist. So Jer 2: „Mein Volk hat eine zweifache Sünde begangen: Mich, die lebendige Quelle, haben sie verlassen und graben sich rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten können.“ D. h.: Durch die Sünde sind sie weit weg von mir und maßen sich dennoch an, aus sich heraus Gutes zu tun.
Nun sagst du: Was sollen wir also tun? Sollen wir in Tatenlosigkeit verharren, weil wir nur Sünde tun [können]? Ich antworte: Nein, sondern, wenn du diese [Worte] gehört hast, dann knie nieder und bete um Gnade, setze deine Hoffnung auf Christus, in dem unser Heil, unser Leben und unsere Auferstehung ist. Denn dies wird deshalb gelehrt, deshalb macht das Gesetz die Sünde bekannt, damit, wenn die Sünde erkannt ist, die Gnade gesucht und erlangt wird. So, so gibt er den Demütigen Gnade, und so wird, wer sich demütigt, erhöht. Das Gesetz demütigt, die Gnade erhöht. Das Gesetz wirkt Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. Denn durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde, durch die Erkenntnis der Sünde aber die Demut, durch die Demut wird die Gnade erlangt. So führt Gottes fremdes Werk schließlich sein eigenes Werk herbei: indem es einen zum Sünder macht, um ihn zum Gerechten zu machen.
XXI:
DER THEOLOGE DER HERRLICHKEIT NENNT DAS ÜBEL GUT UND DAS GUTE EIN ÜBEL. DER THEOLOGE DES KREUZES SAGT, WAS DIE SACHE IST.
Das ist offenkundig; denn solange er Christus nicht kennt, kennt er den in den Leiden verborgenen Gott nicht. So zieht er die Werke den Leiden vor, die Herrlichkeit dem Kreuz, die Macht der Schwäche, die Weisheit der Torheit und insgesamt das Gute dem Übel. Das sind solche, die der Apostel ,Feinde des Kreuzes Christi‘ nennt, und das, weil sie das Kreuz und die Leiden hassen, dagegen die Werke und ihren Ruhm lieben und so das Gute des Kreuzes ein Übel nennen und das Übel des Werkes ein Gutes. Aber dass Gott nur gefunden wird in den Leiden und im Kreuz, ist schon gesagt.
So sagen die Freunde des Kreuzes, das Kreuz sei ein Gutes und die Werke [seien] ein Übel, weil durch das Kreuz die Werke zerstört werden und [der alte] Adam gekreuzigt wird, der durch die Werke vielmehr aufgebaut wird. Es ist nämlich unmöglich, dass der nicht durch seine guten Werke aufgebläht werde, der nicht vorher durch Leiden und Übel erniedrigt und zerstört worden ist, bis er weiß, dass er nichts sei und die Werke nicht seine, sondern Gottes sind.
Reinhold Rieger, Akademischer Oberrat und außerplanmäßiger Professor für Kirchengeschichte an der Ev.-Theologischen-Fakultät Tübingen, hat in akribischer Arbeit ein bemerkenswert hilfreiches Lehrbuch für die Lutherforschung geschaffen. Das Buch Martin Luthers theologische Grundbegriffe bietet eine Auswahl der wichtigsten Grundbegriffe Luthers und erklärt diese ausschließlich anhand von Aussagen des Reformators. Damit füllt das Werk die Lücke zwischen Konkordanzen und Systematischen Darstellungen der Theologie Luthers.
Luther hat in seinen Predigten und Schriften oft verschiedene Wörter benutzt, um ein und dieselbe Sache auszudrücken. Das ergibt sich schon allein dadurch, dass bei ihm lateinische und deutschsprachige Texte nebeneinander stehen. In mühevoller Kleinarbeit hat Reinhold Rieger diese bedeutungsverwandten Wörter, übrigens auch Antonyme und verschiedene Wortarten wie Substantive oder Adjektive, „auf den Begriff gebracht“.
Die aufgeführten Belegtexte sind keine genauen Übersetzungen aus dem Lateinischen oder Frühneuhochdeutschen, sondern eher Paraphrasen. Diese lassen allerdings das markante Lutherdeutsch noch erkennen und sind hervorragend lesbar. Die inhaltlichen Aussagen lassen sich auf diese Weise schnell erfassen.
Die verwendeten Quellentexte beziehen sich auf die Weimarer Werkausgabe (WA, WABr, DB). Ihre konsequente Nennung inklusive Zeilennummern macht es möglich, die Belegtexte im Originalwortlaut und Kontext vertiefend zu studieren (viele Bänder der WA sind übrigens hier einsehbar).
Die einzelnen Artikel setzen, wo gegeben, mit definitorischen Anmerkungen Luthers zum Schlagwort oder seinem Bedeutungsfeld ein. Im darauf folgenden Hauptartikel werden inhaltliche Aussagen sachlich gegliedert. Gelegentlich kommt dabei zutage, dass Luther seine Meinung geändert hat oder seine Stellungnahmen Widersprüche enthalten. Solche Begebenheiten werden nicht unterschlagen oder harmonisiert.
Um den Aufbau der Artikel nachvollziehen zu können, seien exemplarisch die Gliederung und Hauptgedanken zum Begriff „Abgott“ aufgeführt. Die Eintragung ist nach folgendem Muster vorgenommen worden:
Wesen: Ein Idol oder Abgötterei ist nichts anderes als ein menschlicher Wahn und Gedanke, der vom Teufel unter dem Namen des wahren Gottes ins Herz eingebildet wird (16, 348, 22–24).
Es gibt zwei Arten von Götzendienst: äußeren und inneren. Der äußere geschieht, wenn der Mensch Holz, Steine, Tiere, Sterne anbetet. Dieser ist vom inneren Götzendienst bestimmt, durch den der Mensch aus Furcht vor Strafe oder aus Liebe die äußere Verehrung des Geschöpfes aufgibt, aber innerlich die Liebe und das Vertrauen zu ihm behält (1, 399, 11–17; vgl. 14, 593, 4; 16, 462, 18–463, 2).
Ursache: Allein das Trauen und Glauben des Herzens macht beide, Gott und Abgott (30I, 133, 4).
Der Götzendienst ist als solcher nur denen erkennbar, die an Christus glauben, da er den Schein der Heiligkeit hat (40II, 111, 20f.).
Beispiele für Götzendienst sind das Mönchsleben mit Fasten und Beten, das Priestertum der Papstkirche und die von ihm als Opfer verstandenen Messen (8, 417, 36–38; vgl. 6, 564, 28; 8, 489, 19; 30II, 307, 31–34; 38, 197, 23), erst recht die Privatmesse (40II, 111, 26f.).
Ergänzt werden die einzelnen Artikel durch Literaturhinweise. Darin verarbeitet wurden bewährte Beiträge aus der Lutherforschung sowie jüngere Veröffentlichungen. Ein Sachregister erleichtert die Arbeit mit dem Leitfaden, zumal Stichwörter, denen kein eigener Artikel gewidmet ist, dort eingearbeitet worden sind.
Das Buch Martin Luthers theologische Grundbegriffe ist alles in allem ein sehr gelungenes Lehrbuch, das für den Reformator wichtige Begriffe anhand von Zitaten darstellt und ordnet. Jeder Student, Lehrer oder Verkündiger, der sich mit Luthers Theologie vertraut machen muss oder möchte, erhält hier ein vorzügliches Hilfsmittel zum fairen Preis.
Gerhard Ebeling beschreibt in seiner Einführung zu Luther, wie dieser im Anschluss an die Zeit auf der Wartburg nach Wittenberg zurückkehrte, um das Wort zu predigen (Gerhard Ebeling, Luther: Einführung in sein Denken, Tübingen: Mohr Siebeck, 1965, S. 67):
In Wittenberg aber geht Luther auf die Kanzel, Tag für Tag, eine Woche lang, und hat durch das Wort dem rechten Gang der Reformation die Bahn gemacht, indem er klarstellte, daß das, was der Inhalt des Evangeliums ist, auch bestimmend sein muß für die Frage des reformatorischen Handelns, nämlich daß alles abzustellen ist auf Wort und Glauben: „Denn das Wort hat Himmel und Erde geschaffen und alle Dinge; das muß es tun und nicht wir armen Sünder. Summa Summarum: Predigen will ich’s, sagen will ich’s, schreiben will ich’s. Aber zwingen, dringen mit der Gewalt will ich niemand. Denn der Glaube will willig, ungenötigt angezogen werden. Nehmt ein Exempel von mir: Ich bin dem Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt. Ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich Wittenbergisch Bier mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken habe, also viel getan, daß das Papsttum so schwach geworden ist, daß ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel Abbruch getan hat. Ich hab nichts getan, das Wort hat es alles getan und ausgerichtet.“
Gottfried Hermann fragt in seinem ausgezeichneten Artikel zur Reformation („Mehr als ein Kinderspiel“, Theologische Handreichung und Information, Nr. 4, 11/2017, S. 3–16, hier S. 15), woher der Martin Luther sein Gottvertrauen nahm? Die Antwort:
Es beruhte auf seinem unerschütterlichen Vertrauen in die Heilige Schrift als unverbrüchliches Wort Gottes. In diesem Wort fand er Halt in allen Anfechtungen. Denn in der Bibel redet Gott klar und verständlich zu uns Menschen. Das war es, was Luther 1525 dem großen Humanisten Erasmus entgegenhielt, der behauptet hatte, die Hl. Schrift enthalte viele dunkle (unverständliche) Stellen. Luther demonstrierte ihm das Gegenteil. Und er zeigte Erasmus gleichzeitig, dass der menschliche Wille zu nichts fähig ist, wenn es darum geht, vor Gott Heil und Gnade zu erlangen. Weil es in seiner Schrift „De servo arbitrio“ (Von geknechteten Willen) um diese beiden grundlegenden Themen ging, hielt Luther diese Schrift (neben dem Katechismus) für sein wichtigstes theologisches Werk.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
in seinen „Thesen für fünf Disputationen über Römer 3,28 (1535–1537)“ (G. Wartenberg, W. Härle, & J. Schilling (Hrsg.), Christusglaube und Rechtfertigung: Deutsche Texte, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, Bd. 2, S. 403–405):
1. Glaube muss hier als wahrer Glaube und als Gabe des Heiligen Geistes verstanden werden. 2. Wenn Paulus so verstanden wird, dass er vom erworbenen oder historischen Glauben redet, dann müht er sich ganz vergeblich. 3. Denn sogar die Scholastiker, obwohl sie von diesen Dingen keine Ahnung haben, gestehen zu, dass ein solcher Glaube nicht rechtfertigt. 4. Sie lehren ja sogar, dass selbst der vom Heiligen Geist eingegossene Glaube nicht rechtfertigt, wenn er nicht durch die Liebe geformt ist. 5. Denn das bekräftigen sie öffentlich, dass der eingegossene Glaube zusammen mit einer Todsünde bestehen und dass er verdammt werden kann. 6. Hieraus folgt: Wenn man meint, Paulus rede von einem solchen Glauben, dann meint man, er verkündige einen untätigen und erträumten Christus. 7. Denn Christus hilft und nützt solchen Gläubigen nicht mehr als selbst den Dämonen und Verdammten. 8. Da aber Paulus wortreich dem Glauben die Rechtfertigung zuschreibt, ergibt sich zwingend, dass er nicht über solche Glaubensgestalten (um sie so zu nennen) redet, die man als erworbenen, eingegossenen, ungeformten, geformten, nicht entfalteten, entfalteten, allgemeinen oder besonderen Glauben bezeichnet. 9. Diesen erworbenen Glauben gestehen sie sogar den Dämonen und den allerbösesten Menschen zu. 10. [Paulus] muss also von einem anderen Glauben sprechen, der Christus in uns zur Wirkung bringt gegen Tod, Sünde und Gesetz, 11. und der uns nicht den Dämonen und den Menschen, die zur Hölle fahren, gleichen lässt, sondern uns den heiligen Engeln und den Kindern Gottes, die zum Himmel auffahren, gleich macht. 12. Das aber ist (wie wir ihn nennen) der Glaube, der Christus ergreift, der für unsere Sünden stirbt und um unserer Gerechtigkeit willen aufersteht, 13. das heißt, der nicht nur hört, was die Juden und Pilatus bei der Kreuzigung Christi getan haben oder was von seiner Auferstehung erzählt wird, 14. sondern der erkennt, dass die Liebe Gottes, des Vaters, dich durch Christus, der für deine Sünden hingegeben ist, erlösen und retten will. 15. Paulus verkündigt diesen Glauben, den der Heilige Geist auf die Evangeliumspredigt hin in den Herzen der Glaubenden bewirkt und erhält.
Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms im Jahre 1521:
Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“
Ich bin selbst oft dazu gekommen, dass er mit heißen Tränen für die ganze Kirche sein Gebet gesprochen hat; denn er nahm sich täglich besondere eigene Zeiten und Weilen, etliche Psalmen zu sprechen, darunter mengte er mit Seufzen und Weinen sein Gebet zu Gott und ward oft in täglichen Reden unwillig über die, die da aus Faulheit oder wegen ihrer Geschäfte vorgaben, es sei genug, wegen allem Gott mit einem kurzen Seufzen anzurufen. Es sind – sprach er – uns darum Gebetsformen und -weisen vorgeschrieben, dass, so wir solche lesen oder sprechen, unsere Herzen dadurch erweckt und entzündet werden und dass auch unser Mund bekenne, welchen Gott wir anrufen.