Bullinger: Ist eine schlechte Obrigkeit von Gott?

Heinrich Bullinger schreibt über die Herkunft einer schlechten Obrigkeit (H. Bullinger, Schriften III, S. 334–336):

Die meisten Autoren unterscheiden zwei Arten von Obrigkeiten, nämlich gute und schlechte. Gut ist eine Obrigkeit, wenn sie auf rechtmäßige Weise eingesetzt worden ist und rechtmäßig ihr Amt versieht. Schlecht ist sie, wenn sie ihre Herrschaft mit Übeln Machenschaften erlangt hat und willkürlich ausübt. Dabei stellt sich aber die Frage, ob eine schlechte, d. h. tyrannische Obrigkeit von Gott sei. Darauf antworte ich, dass Gott das Gute bewirkt, nicht das Böse. Gott ist von seinem Wesen her gut, und alles, was er einrichtet, ist gut und ist eingesetzt worden zum Wohl und Heil der Menschen, nicht zu ihrem Schaden. So ist die Obrigkeit als eine gute und heilsame Einrichtung ohne Zweifel von Gott, dem Urheber alles Guten. An dieser Stelle muss man aber das Amt und die Einrichtung Gottes von der Person unterscheiden, die nicht mit diesem guten Amt übereinstimmt. Wenn demnach an einer Obrigkeit Schlechtes gefunden wird statt des Guten, um dessentwillen sie eingerichtet wurde, sind andere Gründe dafür verantwortlich: Die Schuld liegt bei den Personen, den Menschen, die Gott missachten und eine gute Einrichtung verderben, nicht bei Gott oder der Einrichtung Gottes. Ein schlechter Herrscher, der vom Teufel verführt worden ist, verkehrt die Wege Gottes zum Schlechten. Er verletzt mit seiner Lasterhaftigkeit und seinem üblen Tun seine Pflicht, so dass er den Namen einer satanischen, nicht der göttlichen Macht verdient. Das lässt sich an der Obrigkeit von Jerusalem ersehen. Der Ursprung dieser Obrigkeit geht zwar bis auf Mose zurück, und sie kann sich damit auf Gott selbst als Gründer berufen; weil sie aber den Heiland gefangen genommen und im Garten Gethsemane gefesselt hat, bekommen ihre Diener zu hören [Lk 22,52f.]: »Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Stöcken. Als ich täglich bei euch im Tempel war, habt ihr nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.« Er nennt also die rechtmäßige Obrigkeit, die jedoch ihre Macht missbraucht, eine teuflische Macht. Wie könnte man es klarer sagen? Der Tadel richtet sich gegen die Personen, nicht gegen das Amt.

So ist es wichtig, dass man niemals eine tyrannische Regierung verteidigt, als sei sie eine göttliche. Denn eine tyrannische Regierung ist teuflisch und nicht von Gott, und Tyrannen sind recht eigentlich des Teufels, nicht die Diener Gottes. Es kommt auch vor, dass es ein Volk mit seinem lasterhaften Leben verdient, einen Tyrannen anstatt eines Königs zu haben. Die Schuld fällt also wiederum auf den sündigen Menschen zurück. Manchmal gewährt der Herr zwar einen König, aber lässt einen Heuchler regieren. So kommt die schlechte Obrigkeit von Gott, wie auch Aufruhr und Krieg, Seuchen, Hagel, Kälte und andere Plagen der Menschen von Gott kommen als Strafen für die Sünden und Verbrechen, Strafen, die er ihnen auferlegt, der spricht [Jes 3,4.8]: »Ich will ihnen Knaben zu Fürsten geben, und Buben sollen über sie herrschen. Denn ihre Zunge und ihr Trachten ist wider den Herrn.«

Bullinger: Die Obrigkeit schützt das Gute und bestraft das Böse

Heinrich Bullinger schreibt über die Aufgaben einer Obrigkeit (H. Bullinger, Schriften III, S. 334):

Deutlich folgt aus dem bisher Gesagten, dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt wurde, um das Gute zu schützen und Böse zu strafen, also zum Wohl und zur Erhaltung der Menschen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass es, wie zu lesen ist, seit Beginn der Welt auf der Erde Obrigkeiten gab. Dahin deuten auch folgende Zeugnisse der Heiligen Schrift. Mose nennt im Gesetz die Richter Götter und sagt [Dtn 1,17]: »Das Gericht ist Gottes.« Davon leitet Josaphat ab, was er zu den Richtern sagt [2 Chr 19,6f.]: »Sehet zu, was ihr tut; denn nicht im Namen von Menschen habt ihr zu richten, sondern im Namen des Herrn, der bei euch ist, wenn ihr Recht sprecht. So sei nun die Furcht des Herrn auf euch« usw. Der heilige Petrus sagt, man müsse der Obrigkeit um des Herrn willen gehorchen, durch den jene gesetzt ist zur Belohnung der Guten und zur Bestrafung der Bösen [vgl. 1 Petr 2,i3f.]. So sagt auch Paulus, der Lehrer as Heiden [Röm 13,1—4]: »Es gibt keine Obrigkeit außer von Gott, die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt. Somit wider der, welcher sich der Obrigkeit widersetzt, der Anordnung Gottes; wer aber widersteht, empfängt für sich ein Urteil.

Bullinger: Die Notwendigkeit der Obrigkeit

Heinrich Bullinger schreibt über die Notwendigkeit einer Obrigkeit, egal ob sie demokratisch, monarchisch oder aristokratisch zustande gekommen ist (H. Bullinger, Schriften III, S. 332–333):

Doch wie dem auch sei, die Apostel Christi befehlen uns, der Obrigkeit zu gehorchen, ob sie nun ein König oder ein Rat der hervorragendsten Männer sei. Denn Paulus schreibt im Brief an Titus, Kapitel 3 [Tit 3,1]: »Erinnere sie, den Obrigkeiten und Gewalten untertan zu sein und den Amtleuten zu gehorchen.« Und den Römern schreibt er [Röm 13,1]: »Jedermann sei den Vorgesetzten Obrigkeiten untertan; denn es gibt keine Obrigkeit außer von Gott, die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt.« Auch zu Timotheus sagt er [1Tim 2,1f.]: »Ich ermahne euch, für Könige und alle, die in obrigkeitlicher Stellung sind, zu beten.« Wer in einem Königreich lebt, soll daher dem König gehorchen, und wer in einer Republik lebt, den Bürgermeistern, Schultheißen, Zunftmeistern und Ratsherren. Es ist nämlich wichtiger, der Anordnung Gottes zu gehorchen, als vorwitzig darüber zu diskutieren, welche dieser Regierungsformen die bessere sei. Die Menschen benötigen sehr wohl eine Obrigkeit, ja sie ist so nötig, dass ohne das Wirken einer Obrigkeit das Zusammenleben der Menschen keinen fruchtbaren Bestand haben kann.

Weil Gott die Menschen liebt und die Menschheit, die Ruhe und das menschliche Zusammenleben beschützen und erhalten will, hat er eine Abhilfe für die schweren menschlichen Krankheiten geschaffen und eben die Obrigkeit eingesetzt, die sich kraft des Rechts und der Gerechtigkeit zwischen die Streitenden stellt, sie richtet und trennt, Gewalt und Leidenschaften in ihre Schranken weist und die Unschuldigen schützt.

Unser digitales Ich in der Doppelrolle

„Heutzutage verirren wir uns in einem Labyrinth aus Spiegeln, das unser Selbstbild verzerrt“1, schreibt der Anthropologe Thomas de Zengotita. Er behauptet, dass unsere Bildschirmtechnologie im digitalen Zeitalter einen neuen Gipfel der Sucht erreicht hat. Denn unsere Bildschirme ermöglichen es uns, Zuschauer und Star zugleich zu sein. Tony Reinke schreibt: 

Unsere Kultur, in der immer eine Kamera griffbereit ist, hat uns verändert. Bis zum Jahr 1920 hielt niemand es für nötig, für ein Foto zu lächeln. Heute müssen wir alle bereit sein, jeden Moment fotografiert zu werden und die perfekte Pose für ein Foto einzunehmen. Wahrnehmung ist alles, und in den sozialen Medien formen wir das Schauspiel um uns selbst. Während wir die von uns ausgewählte Rolle vor der Kamera spielen, stellen wir fest, dass uns die Magie computergenerierter Bilder (CGI) in die Hände gelegt wurde. Wir können unser digitales Selbst jetzt durch zahllose Filter, Linsen und Bitmojis bearbeiten – eine einzigartige Möglichkeit der Verformbarkeit unseres Ichs, die so noch keiner Generation in der Geschichte der Menschheit zur Verfügung stand.

Mehr: www.evangelium21.net.

Bullinger: Respekt zum Beginn der Ehe

Heinrich Bullinger schreibt über den Beginn des Ehelebens (Schriften I, 2006, S. 516–517): 

Dabei birgt das erste Zusammenleben am meisten Gefahren. Denn bevor zwei Menschen — die nie nahe beieinander gelebt haben, sich noch nicht aneinander gewöhnt haben und vielleicht sogar Angewohnheiten besitzen, die den andern abstoßen — miteinander leben und einander kennen lernen, entwickelt sich mancher Streit, und wenn man dem nicht von Anfang an zuvorkommt, entsteht Schlimmeres daraus. Denn der Teufel, der Feind aller Einigkeit, mischt sich hier auch ein und bemüht sich eifrig darum, dass ihm auch ein Teil davon zukommt und dass sich die Eheleute nicht zu einig sind. Deswegen müssen die Eheleute stetig wachsam sein und dagegen kämpfen und dem Teufel nicht nachgeben, sondern daran denken, was ihnen aus einer solchen frühen Uneinigkeit erwachsen kann.

Das können sie aus folgendem Beispiel lernen: Wenn zwei Bretter nicht zuerst gut aufeinander abgestimmt und zusammengeleimt werden, bleiben sie nachher niemals fest aneinander haften. Wenn aber das erste Anpassen und Zusammenleimen gut gerät, können die Bretter nachher durch keine Gewalt mehr auseinander gerissen werden; ja eher bricht das ganze Brett entzwei als die Stelle, wo es zusammengeflickt wurde.

Daher sollen sich die Eheleute besonders darum bemühen, dass das erste Zusammenleben freundschaftlich ist und durch keinen hässlichen Zank brüchig wird. Denn so wird der ganze Ehestand das ganze Leben hindurch umso glücklicher und friedvoller sein. Und wenn es doch einmal geschieht, dass einige Wolken der Uneinigkeit entstehen, so sollen doch beide Vorsorge treffen, dass keines von ihnen der Sache zu viel Zorn, Schelten und Widerwillen beilegt. Denn wenn man gleich zu Beginn der Ehe sehr heftig uneins wird und sich ganz und gar entzweit, wird es stets einen Ausgang nehmen, wie es mit großen Wunden und Knochenbrüchen einen Ausgang nimmt, die selten so gut geheilt werden, dass sie nicht einige Schmerzen verursachen, wenn sich das Wetter ändert. Ebenso verhält es sich mit den Eheleuten: Wenn sie sich schon so früh ohne alle Achtung begegnen, wird der Streit, der zwischen ihnen einmal geschlichtet worden ist, doch immer wieder hervorbrechen, auch wenn man nur noch manchmal und aufgrund von Kleinigkeiten streitet.

Kind soll vier Elternteile haben können

Die Schwächung der Bio-Familie wird vorangetrieben. Das ist der logische Schritt nach der Einführung für einen revisionistischen Familienbegriff. Der Queer-Beauftragte der neuen Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), setzt sich dafür ein, dass Kinder künftig mehr als zwei Elternteile haben können. „Ein Kind soll bis zu vier Sorgeberechtigte haben dürfen, denn mittlerweile wächst jedes dritte Kind in einer Familiensituation auf, die nicht einer klassischen Ehe entspricht“, sagte Lehmann. Die FAZ meldet unter Berufung auf den Nachrichtendienst Epd: 

Von so einer Änderung würden nicht nur Regenbogenfamilien profitieren, sondern auch Patchworkfamilien, sagte der Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Zugleich seien auch die Kinder rechtlich besser geschützt.

Wenn ein Kind in eine Ehe mit zwei Frauen hineingeboren werde, habe es bislang nur einen Elternteil. Werde ein Kind dagegen in eine Ehe mit Vater und Mutter hineingeboren wird, habe es automatisch zwei Eltern. „Das wollen wir ändern, um die Ehen gleichzustellen, aber auch, um die Situation der Kinder abzusichern“, sagte Lehmann. „Denn wenn heute der leiblichen Mutter etwas passiert, ist das Kind quasi Waise“, sagte der Beauftragte für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Mehr: www.faz.net.

Wachsender Islamismus an Schulen

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung will Jugendarbeit mit Muslimen fördern und gegen Muslimfeindlichkeit vorgehen – versteht also Integration als Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft. Nicht thematisiert wird hingegen der islamistische Einfluss in den Schulen. Die NZZ schreibt: 

Zahlreiche muslimische NGO und ihre Unterstützer haben es verstanden, die Selbstanklage bürgerlicher Kreise, die sich schon deshalb für rassistisch halten, weil sie weiss und nichtmuslimisch sind, optimal für sich zu nutzen.

Eine von ihnen ist die vom Berliner Senat geförderte «Anlaufstelle Diskriminierung an Schulen» (Adas). Sie hat jüngst eine – von den Autoren selbst als nicht repräsentativ bezeichnete – Umfrage über Diskriminierungserfahrungen junger Muslime veröffentlicht und eine Reihe von Forderungen erhoben, die man umstandslos im Bereich der Cancel-Culture verorten kann. So sollen die Begriffe «konfrontative Religionsausübung», «aggressive Religionsbekundung» und «religiöses Mobbing» aus dem öffentlichen Diskurs verbannt werden, weil sie angeblich Muslime diskriminieren. Befragt wurden tatsächlich Personen im Kontext von Moscheegemeinden, von denen viele ein fundamentalistisch-reaktionäres Islamverständnis vertreten, was die Neuköllner Integrationsbeauftragte Güner Balci veranlasste, von einem «Who’s who des politischen Islam» zu sprechen.

Zudem zielen laut dem ebenfalls in Berlin ansässigen «Verein für Demokratie und Vielfalt» (DeVi) die beanstandeten Begriffe auf islamistisches Engagement an staatlichen Schulen: So würden beispielsweise muslimische Mädchen regelmässig von islamistisch gesinnten Mitschülern unter Druck gesetzt, sich islamisch zu kleiden, also den Körper blickdicht zu verhüllen und mit einem Kopftuch Haar, Hals, Nacken und Ausschnitt zu bedecken. Wer nicht spurt, wird als ehrlos beschimpft, gemobbt oder drangsaliert.

Mehr: www.nzz.ch.

Wissenschaftsfreiheit

Die Gießener Philosophieprofessorin Elif Özmen, die selbst gegenüber dem Interessensbegriff von Peter Singer offen ist, forscht zum Thema Wissenschaftsfreiheit. Im einem Interview mit der FAZ erklärt sie, warum sie in ihren Seminaren keine „Trigger Warnings“ ausspricht und welche Tendenzen an Unis ihr Sorgen bereiten:

Man kann auf empirische Untersuchungen verweisen wie den Academic Freedom Index. Dieser zeigt, dass die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland seit den achtziger Jahren auf einem sehr hohen Niveau stabil ist. Andererseits gibt es auch in Deutschland – wie in den USA und Großbritannien – eine Debatte über die Politisierung und Moralisierung der Wissenschaft. Da geht es nicht um harte Beschränkungen durch staatliche Akteure, etwa durch Zensur und Publikationsverbote, sondern um Versuche, Redner auszuladen oder Wissenschaftlerinnen und ihre Forschungsgebiete zu diskreditieren. Für mich ist noch nicht ausgemacht, ob das die Wissenschaftsfreiheit als solche gefährdet oder viel stärker die Funktion der Universität als einen Ort, an dem unterschiedliche Perspektiven entwickelt und kritisch diskutiert werden, an dem wir uns mit Gründen und Gegengründen streiten wollen und dürfen.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

Evangelikale haben die Trinität verzweckt

Die Dreieinigkeitslehre hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Auch in evangelikalen Kreise haben wir uns teilweise von der biblischen, theologisch rechtgläubigen Trinitätslehre entfernt. Von manchen wurde die Theologie der Dreieinigkeit so manipuliert, dass sie unseren gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht. Zu den Architekten dieser „Sozialen Trinitätslehre“ gehören etwa Jürgen Moltmann und sein Doktorand Miroslav Volf. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie die innertrinitarische Gemeinschaft als der Gottheit ursprünglich und als Modell für Gesellschaft und Kirche verstehen. Matthew Barrett schreibt in dem Magazin CT dazu:

Moltmann freut sich darüber, dass feministische Theologinnen nun für die Gleichheit der Geschlechter kämpfen können, weil die Dreifaltigkeit eine gleichberechtigte Gesellschaft von Personen ist – Gott selbst ist nicht mehr patriarchalisch, sondern bisexuell und gibt dem Matriarchat eine göttliche Stimme. Moltmann bejubelt auch ein Befreiungsevangelium. Dank der fehlenden Hierarchie in der dreieinigen Gemeinschaft können wir uns nun für die Unterdrückten in der Gesellschaft gegenüber dem „politischen Monotheismus“ positionieren.

Ist Moltmann mit seiner sozialen Agenda allein? Wie sich herausstellt, hat er einen sozialen Kreuzzug angestoßen, der von einem seiner eigenen Schüler und einem der populärsten Denker unserer Zeit weitergeführt wird: Miroslav Volf.

Der Beitrag von Matthew Barrett ist ein Auszug aus dem Buch Simply Trinity: The Unmanipulated Father, Son, and Spirit.

Hier geht es zum Artikel: www.christianitytoday.com.

Psycho-Revolution

Die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“ hat es in sich. Nicht ein besonderer Bereich, sondern die ganze Person gilt dann nämlich als krank und letztlich mehr oder weniger unheilbar. Kritiker meinen: Das sind Schubladen, in die Patienten nicht hineingehören. Das überarbeitete Diagnosehandbuch der Weltgesundheitsorganisation will Persönlichkeitsstörungen in Zukunft deshalb differenziert erfassen. Das ICD-11 hat zum 1. Januar 2022 die bisherigen spezifischen Persönlichkeitsstörungen ganz aus dem Katalog gestrichen. Kein Narzissmus mehr, keine paranoide oder dissoziale Persönlichkeitsstörung. Es gibt nur noch die allgemeine Diagnose: „Persönlichkeitsstörung“.

Martin Hubert hat für den DLF das Thema geschickt aufbereitet. Ich hätte mir gewünscht, dass die Kritiker dieses Einschnitts mehr Raum bekommen hätten, kann aber gut damit leben, dass zumindest Schwächen der „Dimensionale Diagnose“ (so heißt das jetzt) erwähnt werden.

Ich empfehle Seelsorgern, Pastoren und natürlich Psychologen und Therapeuten diesen Beitrag aber nicht, weil ich ein Gegner oder Befürworter der „Dimensionale Diagnose“ bin. Vielmehr macht der Beitrag sichtbar, wie kompliziert das mit psychiatrischen Diagnosen ist und das diese Diagnosen immer auch abhängig sind von der Kultur, in der die Kriterien entwickelt werden (vgl. dazu auch den Beitrag Zweifelhafte Therapeutisierung).

Also hier:

Der Siegeszug des modernen Selbst

Daniel stellt in seiner ausführlichen Rezension sein Lieblingsbuch aus dem Jahr 2021 vor. Es geht um The Rise and Triumph of the Modern Self von Carl R. Trueman. Daniel schreibt: 

Um verstehen zu können, warum die Aussage “Ich bin ein Mann gefangen im Körper einer Frau” heutzutage zutiefst die Identität einer Person ausmacht, oder etwas allgemeiner formuliert, warum Sexualität in unseren Tagen für den Großteil der Menschen Identität ist, bedient sich Trueman der Frameworks der Philosophen Charles Taylor und Alasdair MacIntyre sowie des Soziologen Philip Rieff. Besonders hilfreich bei Taylor ist der von ihm geprägte Begriff der sozialen Idee (social imaginary), der beschreibt, wie sich Individuen die Welt, in der sie leben, und ihre Beziehung zu ihr vorstellen. Hier gilt es zwei Arten der Weltanschauung zu unterscheiden: während Mimesis die Welt als einen Ort ansieht, in dem Sinn von außen vorgegeben ist oder zumindest gefunden werden kann, beschreibt Poiesis eine Welt als Ort, der letzlich allein von Atomen bestimmt wird und den es in einer anderen Konstellation des Zufalls nie gegeben hätte. Eine erste Beobachtung von Trueman ist diejenige, dass die Welt in unserer Zeit von einer vormals mimetischen zu einer mehr und mehr poetisch aufgefassten geworden ist.

Rieffs Arbeit hilft uns zu verstehen, dass der Mensch lernt, wer er ist, wenn er lernt, wie er zu seiner Gesellschaft passen kann. Die Auffassung hat hierbei im Zeitablauf einen signifikanten Wandel erlebt: hat früher der political man sich selbst als Teil eines antiken/mittelalterlichen Stadtstaates gesehen, dem gegenüber man loyal sein musste, spürte der religious man in der Folge eine starke Beziehung zu seinem Glauben. Die Unterscheidung zwischen dem economic man und dem heutigen psychologic man lässt sich gut anhand eines Beispiels beschreiben: der economic man war dann zufrieden mit seiner Arbeit, wenn er sich und seine Familie ernähren und Schuhe für seine Kinder kaufen konnte – unabhängig davon, wie schmutzig und hart sein Job war. Dem heutigen psychologic man jedoch ist es wichtig, Erfüllung, Verantwortung und Spaß in seiner Arbeit zu finden, auch wenn das negative Folgen für seine Außenwelt bedeuten würde – individuelles psychologisches Wohlbefinden triumphiert.

Trueman zeigt auf, dass eine frühere Gesellschaft bildende Institutionen (Schulen, Universitäten) dahingehend nutzte, Einzelne zu formen und sie ihren Werten und Normen gerecht zu erziehen. Infolge des Shifts zum psychologic man jedoch sind externe Muster zur Repression geworden und Schüler gehen heute in die Schule um zu performen, nicht um geformt zu werden. Das Individuum ist zum König mutiert. Wenn Identität jedoch eine Sache allein der social imaginary des Einzelnen geworden und das Denken des Menschen als souverän angesehen wird, so wird Identität so unendlich wie die menschliche Vorstellungskraft. Jeder kann jeder werden und sein. 

Mehr hier: philemonblog.de.

Übrigens: Der Verlag Verbum Medien arbeitet derzeit in Kooperation mit dem Netzwerk Evangelium21 an einer deutscher Ausgabe des Buches.

Lectio continua

Die fortlaufende Auslegungspredigt, bei der nacheinander biblische Bücher von ersten bis zum letzten Vers ausgelegt werden, war in der Kirche nicht selbstverständlich. Max Engammare beschreibt in seinem Aufsatz „Predigtkultur in der reformierten Schweiz während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts“, wie diese Form der Verkündigung in den reformierten Kirchen Einzug hielt (in: Ariane Albisser;  Peter Opitz (Hg.), Die Zürcher Reformation in Europa: Beiträge der Tagung des Instituts für Schweizerische Reformationsgeschichte 6.-8. Februar 2019,  Zürich: TVZ, 2020. 548 S., S. 375–388, hier S. 378–379):

Als frühes Modell in der nicht-lutherischen protestantischen Welt funktionierte die Prophezei in Zürich nach dem Prinzip der lectio Continua, welches am besten für eine Neuübersetzung der Bibel, aber auch für die systematische Auslegung jedes biblischen Buches geeignet ist. Zwingli hat seine Wahl der lectio continua jedoch nicht formalisiert oder theoretisiert.

Wer die Zürcher Kirchenordnungen von 1520 bis 1627 konsultiert – mehr als ein Jahrhundert lang, hg. von Emidio Campi und Philipp Wälchli -, entdeckt viele Gebetstage (Bettag) und deren Beschreibung, bemerkt aber das Fehlen einer homiletischen Form im Korpus.7 Um mit Matthäus auf der Kanzel und mit Genesis in der Prophezei zu beginnen, ist die kontinuierliche Form des Predigens und der biblischen Erklärung zu bevorzugen. Bullinger und Gwalther und andere werden später das Gleiche tun.

So nahm beispielsweise am Sonntag, 16.7.1531, Oekolampad in Basel nach seiner Rückkehr aus Ulm (er hatte Basel am 11. Mai verlassen) den Zyklus des Markusevangeliums wieder auf, wie Bonifacius Amerbach in seinem Tagebuch notierte. Dies war die 112. Predigt in der Reihe. In meinem Buch habe ich gezeigt, dass Oekolampad (gestorben Ende 1531) in den 1520er Jahren sowohl Predigten nach dem Prinzip der lectio continua als auch bei einer bestimmten Gelegenheit durch bewusste Auswahl eines biblischen Textes oder einem auf der Kanzel ausgeführten Thema halten konnte, wobei er den brennenden und kontroversen Fragen der Eucharistie Vorrang einräumte.

Es ist jedoch klar, dass Oekolampad am Ende seines Lebens die Predigt nach der lectio continua bevorzugte, auch wenn das nicht seine Praxis während seiner Predigttätigkeit war.

Bei Calvin war das dominante, fast ausschliessliche homiletische Prinzip dasjenige der lectio continua, aber er erklärte seine homiletischen Prinzipien nie direkt. Es ist offensichtlich, dass der Reformator sich selbst als «ministre et prescheur de l’Evangile10» – «Pastor und Prediger des Evangeliums» – betrachtete, aber er spricht in seinen Kommentaren, seinen Predigten oder sogar in der Institutio nie von der lectio continua. Das Predigen des Wortes Gottes ist «Zeichen und Markierung der Kirche», während Gott der Autor des Predigens ist, rückt der Prediger in seinem magnum opus vor, wobei aber die Form des Predigens nicht erklärt wird.

Erasmus sagt in seinen Ecclesiastes nichts darüber, aber es ist anzunehmen, dass Calvin die Kraft der lectio continua während seines Aufenthalts in Straßburg zwischen 1538 und 1541 spürte, wobei er aber bereits früher im brieflichen Austausch mit Martin Bucer stand. Von 1525 an hatte sich Bucer daran gewöhnt, jeden Sonntag ein Kapitel oder eine Perikope des Evangeliums in lectio continua dem Volk zu erklären; im folgenden Jahr betraf die Praxis auch das Alte Testament für die Predigten der Woche. Calvins Praxis in Genf ist dem entsprechend anzunehmen.

„Ich bin nicht schön anzusehen“

In einem Artikel geht Sam Allberry auf fünf Mythen ein, denen wir in Bezug auf unser Körperbild oft erliegen. Er schreibt unter anderem: 

Ein Teil unserer Unsicherheit liegt vielleicht gar nicht so sehr darin begründet, wie wir selbst über unseren Körper denken, sondern vielmehr darin, wie andere es tun. Ein Schulfreund von mir hatte ein paar auffällige Muttermale im Gesicht und wurde so zur Zielscheibe einiger Jungs, die alles benutzten, um andere zu ärgern. Jahre später vertraute er mir seinen Schmerz über diese Erfahrung an, die sogar zu Langzeit-Schlafstörungen geführt hatte.

Solche Erfahrungen sind nichts Ungewöhnliches. Sei es ausgelöst durch Mobbing oder etwas ganz anderes: Es kann passieren, dass wir befürchten, aufgrund unseres Aussehens Probleme mit anderen zu bekommen. Wir fühlen uns wie eine wandelnde Zielscheibe.

Tatsache ist, dass wir es mit unserem Aussehen nie allen recht machen können. Selbst wenn wir unseren Körper in Form bringen oder das Geld haben, uns einer Schönheitsoperation zu unterziehen – wir werden immer Makel haben. Nichts wird das endgültig verhindern können. Wir werden nie das Ideal erreichen, von dem wir glauben, es erreichen zu müssen, um die Erwartungen anderer zu erfüllen.

Und deshalb ist das Evangelium eine solch gute Nachricht. Die Bibel sagt uns, dass Jesus uns durch seinen Tod erkauft hat. Folglich gehören wir nun ihm: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist, den ihr von Gott empfangen habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum verherrlicht Gott in eurem Leib und in eurem Geist, die Gott gehören!“ (1Kor 6,19–20).

Es gibt viel dazu zu sagen, aber lasst uns fürs Erste Ruhe in dieser Wahrheit finden: Wenn unser Körper Jesus gehört, ist Jesus der einzige, dem unser Körper gefallen muss. Und das ist viel leichter, als es unserer Gesellschaft oder unseren Schulfreunden recht zu machen. Paulus ermahnt uns: „Dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer“ (Röm 12,1). Ein Körper, der Jesus gefällt, ist einer, der ihm und seinen Absichten hingegeben ist. Und wenn er sich über einen solchen Körper freut, merken wir schnell, dass letztlich nur das zählt.

Mehr hier: www.evangelium21.net.

Das Goethe-Institut gendert

Das Goethe-Institut ist ein weltweit tätiges Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland mit dem Auftrag, die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland zu pflegen und die internationale kulturelle Zusammenarbeit zu fördern. Das Institut repräsentiert also die deutsche Kultur und besonders die deutsche Sprache in der gesamten Welt.

Interessanterweise  verwendet das Institut sowohl bei der Selbstdarstellung als auch in den Unterrichtsangeboten und -materialien eine durchgegenderte Sprache. So ist etwa auf der eigenen Internetseite von Sponsor*innen oder Förder*innen die Rede. Das Institut, welches dafür da ist, Menschen aus aller Welt die deutsche Sprache zu lehren, macht Sprachvarianten verpflichtend, die nach den aktuellen deutschen Schreibregeln falsch sind. Begründet wird das unter anderem mit Karl Marx:

Das Sein bestimmt laut Karl Marx das Bewusstsein. Ähnlich verhält es sich mit Sprache. Sie beeinflusst unser Denken.

Martins Braindumps hat sich über dieses Vorgehen geärgert und vom Goethe-Institut eine Erklärung erbeten:

Kürzlich musste ich feststellen, dass auf der Web- und Facebookseite des Goethe-Instituts systematisch sprachliche Konstrukte verwendet werden, die aktuellen Orthographie- und Grammatikregeln der deutschen Sprache widersprechen („Gendersternchen“) und zudem konsequent auf die Verwendung des generischen Maskulinums verzichtet wird. Während die Entscheidung für eine solche „geschlechtergerechte Sprache“ für den individuellen Gebrauch vollkommen legitim ist, halte ich das im offiziellen Auftritt des Goethe-Instituts für problematisch.

Die ernüchternde Antwort des Instituts ist so ausgefallen:

Geschlechtergerechte Sprache ist ein in der Öffentlichkeit viel und kontrovers diskutiertes Thema. Das Bundesverfassungsgericht (November 2017) hat geurteilt, dass im Behördenregister neben „männlich“ und „weiblich“ eine „dritte Option“ eingeführt werden muss. Um auch andere Geschlechter neben Frau und Mann sichtbar werden zu lassen, wurden die Formen des gender gap, des Binnen-Is und Gendersternchens entwickelt. Dadurch werden Intersexuelle, Transgender oder Transsexuelle berücksichtigt. Die entsprechende Umsetzung am Goethe-Institut versucht, dem rechtlichen Gebot ebenso Rechnung zu tragen, wie dem Wunsch nach Gebrauch von Varianten, die sich im Sprachgebrauch etabliert haben. Die Anwendung des Gendersternchens ist nicht nur am Goethe-Institut am weitesten verbreitet, es wird auch vom Rechtschreibrat zur Aufnahme in den Duden weiterhin diskutiert, auch wenn es bislang zu keiner abschließenden Empfehlung gekommen ist.

Kurz: Das Goethe-Institut will einfach schon mal Fakten schaffen. In der Hoffnung, dass es irgendwann kein Zurück mehr gibt.

Weshalb das Goethe-Institut „juristisch“ falsch und inhaltlich manipulativ argumentiert, kann bei Martins Braindumps nachgelesen werden: www.martins-braindumps.de.

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